Weitgehend ignoriert von der Weltöffentlichkeit greift die türkische Armee gemeinsam mit dschihadistischen Söldnern seit Monaten Ain Issa an. Unter offenem Bruch eines seit Oktober 2019 gültigen Waffenstillstandsabkommens wird die in Nordsyrien gelegene Kleinstadt täglich unter schweren Artilleriebeschuss gesetzt. Ain Issa ist selbstverwaltet, die Menschen organisieren sich in Kommunen und Räten. Während die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) und die Militärräte die Verteidigung von Ain Issa an der Front übernehmen, stellen die gesellschaftlichen Verteidigungskräfte Hêzên Parastina Civakî (HPC) das Gros der zivilen Verteidigung.
Die HPC sind basisdemokratische Einheiten, die aus den Verteidigungskommissionen der Kommunen gebildet werden und in der Regel den Bereich einer Kommune, also den Einzugsbereich von 50 bis 150 Haushalten schützen. Schon zu Beginn der Revolution von Rojava formierten sie sich als Selbstverteidigungsmilizen, die direkt mit der Basisorganisierung verbunden waren. Ab 2015 strukturierten sie sich schließlich im System der HPC sowie HPC-Jin.
Egîd Bozan gehört zur Leitungskommission der HPC in Ain Issa. Er sagt, die Aufgabe der HPC sei nicht nur, die Region vor der Söldnertruppe „Syrische Nationale Armee“ (SNA), dem Werkzeug für Recep Tayyip Erdogans außenpolitische Ambitionen, und dem sogenannten IS zu schützen, sondern auch von der Türkei geschürte Konflikte zu verhindern und den Menschen Sicherheit zu geben, um Fluchtbewegungen zu verhindern. Das türkische Regime versucht seit geraumer Zeit über Agentennetzwerke die lokale Bevölkerung zur Flucht anzustacheln.
Egîd Bozan
Mit der Intensivierung der Angriffe auf die nordostsyrischen Autonomiegebiete nimmt auch die Solidarität unter der Bevölkerung mit den HPC zu. Die Einheiten sind Tag und Nacht in der Stadt und umliegenden Dörfern unterwegs und versuchen so, die Sicherheit der Bevölkerung zu garantieren. Der Schutz der Zivilbevölkerung gilt vielen innerhalb der HPC-Reihen als eine Mission. Die Losung dabei lautet, dass das Schicksal einer Gesellschaft durch den von ihr hervorgebrachten Widerstand bestimmt wird.
Ehemals administratives Zentrum der Autonomiegebiete
Ain Issa war bis zur türkischen Invasion im Herbst 2019 das administrative Zentrum der Autonomiegebiete und ist das Verbindungsglied zwischen Aleppo, Hesekê, Deir ez-Zor, Kobanê und Minbic. Durch die permanenten Angriffe auf die Region soll die Selbstverwaltung mürbe gemacht und zur Übergabe der strategisch wichtigen Kleinstadt gezwungen werden. Von Ain Issa kann nicht nur die syrische Ostwestachse kontrolliert werden, sondern auch die in 30 Kilometern Entfernung parallel zur türkischen Grenze verlaufende Schnellstraße M4. „Wir sind uns den Zielen der Besatzungstruppen bewusst, von daher spielen wir als HPC eine besonders wichtige Rolle in der Verteidigung gegen die Besatzung“, sagt Bozan. „Der türkische Staat und seine Söldner werden nicht durchkommen. Wir sind bereit, bis zum letzten Augenblick unsere Stellungen zu halten.“