Friedhofzerstörungen durch Besatzungstruppen in Efrîn

Die türkischen Besatzungstruppen im nordsyrischen Efrîn begehen systematisch Kriegsverbrechen. Dazu gehört die Zerstörung von Gefallenenfriedhöfen. Seit der Eroberung der Region wurden vier dieser Friedhöfe zerstört.

Vor wenigen Tagen veröffentlichte die türkische Staatsagentur Anadolu Ajansı eine Reihe von Berichten über angeblich entdeckte Massengräber in Efrîn. Dabei ging es nicht etwa um die Tausenden, die in Gefangenschaft der Besatzungstruppen „verschwunden“ sind, sondern es wurde behauptet, in den geöffneten Gräbern seien Zivilist:innen, die von den Volksverteidigungseinheiten (YPG) hingerichtet wurden. Dieser ebenso billige wie verbrecherische Versuch, die Invasion der Region zu legitimieren und die Selbstverwaltung zu diffamieren, schlug schnell auf die türkische Regierung zurück. Die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) und die Selbstverwaltung konnten nachweisen, dass es sich bei den aus den Gräbern gerissenen Toten um gefallene Kämpfer:innen der YPG und der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) sowie um bei Luftangriffen getötete Zivilist:innen handelte. Das angebliche Massengrab entpuppte sich als der Gefallenenfriedhof Şehîd Avesta. Die Plünderung und Verwüstung des Friedhofs stellen ein Kriegsverbrechen dar.


Systematische Zerstörung von Gefallenenfriedhöfen

Es ist nicht der erste Gefallenenfriedhof, der zerstört wurde. Bereits während der am 20. Januar 2018 beginnenden türkischen Angriffe auf Efrîn waren Friedhöfe ein wichtiges Angriffsziel, um die Moral der Bevölkerung zu brechen. Dabei wurde der Şehîd-Seydo-Gefallenenfriedhof vollständig zerstört. Ende 2019 folgte der Şehîd-Refik-Friedhof. Auf dem planierten Gelände des Friedhofs wurden ab 2020 aus Idlib umgesiedelte Flüchtlinge untergebracht.

Viehmarkt auf den Gebeinen von 258 QSD-Kämpfer:innen eröffnet

Im April 2020 wurde der Friedhof Şehîd Avesta Xabûr, der während der Invasion eingerichtet worden war, vollkommen planiert und an seiner Stelle ein Viehmarkt errichtet. Auf dem Gelände liegen die Gebeine von 258 Kämpfer:innen der QSD.

72 Erwachsene und ein Kind“

Als bei der Invasion in Efrîn die Zahl der Todesopfer rapide stieg, war ein vierter Gefallenenfriedhof eingerichtet worden. Dort befanden sich die sterblichen Überreste von 73 Kämpfer:innen von YPG und YPJ, sowie bei Angriffen getöteter Zivilist:innen. Dieser Şehîd Avesta genannte Friedhof wurde zuletzt als angebliches „Massengrab der YPG“ von den Besatzungstruppen umgegraben, die Leichen wurden an einen unbekannten Ort gebracht. Adnan Şêx Muhammed vom Rat der Familien der Gefallenen von Efrîn war selbst an der Einrichtung des Friedhofs beteiligt. Er erinnert sich, dass sie den Friedhof in der Nähe des Krankenhauses eingerichtet hatten, weil sie glaubten, dort werde der türkische Staat nicht bombardieren. Er erklärt: „Wir haben dort zwei Bestattungszeremonien abgehalten, eine militärische und eine zivile. Am 15. März haben wir hier 43 unserer Gefallenen, ohne sie identifizieren zu können, bestattet. Unter ihnen waren auch Zivilisten, die durch Angriffe des türkischen Staates getötet wurden. Zuletzt haben wir dort auch ein Kind begraben. Die Zahl der Gefallenen dort beträgt 73, 72 Erwachsene und ein Kind.”

Die Lüge vom Massengrab”

Weiter erklärt Muhammed: „Wir haben ein Archiv, das Erdoğan der Lüge überführt. Die Familien vieler der Gefallenen, die wir hier begraben haben, leben jetzt in Şehba und können diese Lüge mit ihren Aussagen offenbaren.“

Sie können nicht einmal tote Kurd:innen ertragen“

Der stellvertretende Ko-Vorsitzende der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, Hasan Koçer, sieht in den Angriffen auf die Friedhöfe den Teil eines Genozids. Die Verbrechen, die von den Besatzungstruppen in Efrîn begangenen werden, hätten längst das Niveau von völkerrechtlich zu ahndenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit erreicht, sagt er und kritisiert das internationale Schweigen mit den Worten: „Wir sehen, dass internationale Mächte die Augen vor allen Arten von Verbrechen und Massakern durch die Kräfte, mit denen sie gemeinsame Interessen haben, verschließen.“

Er fährt fort: „Kein Gewissen kann das, was der türkische Staat in Efrîn tut, akzeptieren. Was bedeutet es, wenn Gräber auf den Friedhöfen geöffnet werden? Das zeigt, dass nicht einmal tote Kurden ertragen werden. Wenn man sieht, was mit den Toten getan wird, kann man sich vorstellen, was den Lebenden geschieht. Die Masken sind gefallen. Europa, Russland, die USA und die anderen opfern die Kurden ihren Profitinteressen. Dies ist ein schwarzer Fleck für die Menschheit.“

Ein Angriff auf unsere Würde“

Koçer weist auf über die Bedeutung der Gräber von Gefallenen hin und sagt: „Angriffe auf Gefallenenfriedhöfe sind massive Angriffe auf die Würde der Kurden, sie zielen auf Erniedrigung ab. Die Internationalen Mächte sind an diesen Verbrechen beteiligt. Wir müssen Widerstand leisten und dürfen keine Erwartungen an irgendjemand anderes haben. Wir werden uns wehren. Wir akzeptieren diese Angriffe nicht, wir akzeptieren nicht, dass unsere Gefallenen aus ihren Gräbern geholt werden. Das können wir nicht zulassen, wir werden Vergeltung üben. Wir rufen alle Kurden auf, ihre Proteste gegen die Situation auszuweiten.“

Die Vernichtung alles Kurdischen

Der Sprecher der Menschenrechtsorganisation von Efrîn, Ibrahim Şêxo, sagt, die Zerstörung der Friedhöfe müsse im Kontext der ethnischen Säuberungen und der Demografieveränderung der Region verstanden werden. Er erklärt: „Warum haben sie die Toten ins Visier genommen? So drücken sie ihren Hass auf ganz Efrîn und das kurdische Volk aus, auf jeden Stein und jeden Menschen, jeden Baum, von der Geschichte der Region bis hin zu den Toten. Der türkische Staat will nichts mehr übrig lassen, was auf Kurden und ihre Werte hindeutet.“

Efrîn ist eine kurdische Stadt“

Der Menschenrechtler führt weiter aus: „Efrîn ist eine kurdische Stadt. Jetzt vertreiben sie die Kurd:innen aus der Stadt und siedeln eine arabische Bevölkerung an. Sie wollen so einen Krieg zwischen der kurdischen und der arabischen Bevölkerung provozieren. Was heute in Efrîn geschieht, ist geplant. Das nennt man ethnische Säuberung und demografischer Wandel. Die Natur und Geschichte dieser Stadt und Region werden zerstört. Alle historischen Gebäude wurden zerstört, die Artefakte gestohlen und in die Türkei geschmuggelt. Sie verbrannten und fällten Efrîns Bäume, sie entführen und ermorden die Bevölkerung. All das geschieht ganz offen.“