Eine Kobanê-Geschichte: Monatelang blutige Kleidung waschen

Die beiden Schwestern Zozan und Hiwa haben Kobanê während des Krieges nicht verlassen. Sie sind geblieben und haben die Kämpferinnen und Kämpfer der YPJ/YPG monatelang mit Essen und Kleidung versorgt.

Die Kalenderblätter werden eins nach dem anderen abgerissen. 13. September 2014: Die weltweit unsichtbaren Kurdinnen und Kurden beginnen nicht nur ihre eigene Geschichte, sondern auch die des Menschseins, mit dem zu schreiben, was sie am besten kennen: Widerstand. Das Orchester gab es bereits, die Sinfonie wurde jetzt geschrieben. Ihr Name war Kobanê. Es war die Zeit, in der Kobanê seine Existenz bewies. Etliche Geschichten über Kobanê sind schon geschrieben worden, Tausende sind immer noch ungeschrieben.

Eine davon ist die Geschichte von zwei Schwestern aus Helince. Zozan und Hiwa haben Kobanê während des Krieges nicht verlassen. Sie blieben während des Krieges und hinterher neun Monate an der Seite der Kämpferinnen und Kämpfer der YPJ/YPG, um der Revolution zu dienen. Monatelang haben sie die Kleidung von Verwundeten und Gefallenen gewaschen und im eiskalten Wasser von Blut gesäubert. Unter den Angriffen der IS-Banden haben sie Kleidungsstücke zum Trocknen aufgehängt und zurück an die Front geschickt. Diese Arbeit haben sie mit großem Stolz und Begeisterung gemacht. Damit niemand hungrig in den Kampf ziehen muss, haben sie jedes Essen gekocht, das sie kannten. Sie waren Tag und Nacht aktiv. Und es war anstrengend. Sie haben Hunderte Tote gesehen und ebenso viele Verletzte. Aber sie sind nicht zusammengebrochen. Ihre Wut wurde größer. Und sie haben sich mitten im Krieg ein gegenseitiges Versprechen gegeben: Wenn eine von uns fällt, geht die andere nicht nach Hause. Sie schließt sich den Kämpferinnen an!

 

Wie Zozan die Revolution kennengelernt hat

Zu Beginn der Schlacht um Kobanê war Zozan 25 und Hiwa 29 Jahre alt. Ihr Überlebenskampf begann jedoch bereits, als Zozan zwölf war. Die fünf Schwestern verloren ihre Eltern. Zum Glück gab es die „Hevals“, die „Revolutionäre mit den lachenden Augen“, wie sie sie nannten. Sie kamen bereits zu Besuch, als die Eltern noch lebten. „Aber unser Verstand war noch nicht so weit“, erzählt Zozan von jenen Tagen. Erst in den Jahren nach dem Tod der Eltern fingen sie an, diese revolutionären Kurdinnen und Kurden zu kennen und zu verstehen. Und sie arbeiteten mit ihnen zusammen. Als sich die Kräfte des syrischen Regimes kurz vor der Revolution vom 19. Juli 2012 zurückzuziehen begannen, hatten Zozan und Hiwa ihre Selbstverteidigungsausbildung abgeschlossen und nahmen an der Arbeit des Volksrats teil. „Wir waren vierzig Frauen bei der militärischen Ausbildung“, sagt Zozan. Die damalige Aufregung ist ihr immer noch anzusehen.

Wir fragten nach Waffen

Als der Krieg in Kobanê losging, gingen ihre drei großen Schwestern über die türkische Grenze „in den Norden“, weil sie verheiratet waren und kleine Kinder hatten. Zozan und Hiwa entschieden unter sich, Kobanê auf keinen Fall zu verlassen. Im Dorf Helince blieben nur die beiden übrig. Zozan erzählt von dieser Zeit: „Alle sind gegangen, nur meine Schwester und ich waren noch in Helince. Wir sagten den Freundinnen, dass wir allein sind und sie uns besuchen sollen. Sie kamen und blieben eine Nacht. Wir fragten sie nach Waffen, um gemeinsam mit ihnen zu kämpfen. Sie sagten, dass wir mit ihnen in die Stadt kommen sollen und das weitere nach Bedarf geregelt wird.“

Eine der wichtigsten Aufgaben im Krieg findet hinter der Front statt. Zozan und Hiwa begannen damit, Essen zu kochen und sich um die Verwundeten zu kümmern. „Zunächst war unsere hauptsächliche Arbeit, Essen für die an die Grenze geflohene Bevölkerung zu machen. Dafür waren Heval Dilan und ich zuständig. Als der Krieg heftiger wurde, bereiteten wir Mahlzeiten für alle Frontabschnitte zu. Ich war immer mit meiner Schwester zusammen. Später, als es die ersten Verletzten gab, haben wir auch für sie Essen gemacht“, berichtet Zozan und fährt fort:

„Wir haben Reis, Bulgur, Dolma und manchmal auch Köfte gemacht. In der Zeit der heftigsten Kämpfe hatten wir allerdings knapp zwei Monate kaum noch etwas zu essen. Es war nur noch Reis und Bulgur da. Für uns wurden Tag und Nacht eins. Wir gingen mitten in der Nacht los, um Brot zu holen. Es waren natürlich schwierige Bedingungen, aber wenn wir die Kämpferinnen und Kämpfer gesehen haben, ging es uns gut. Die dabei entstandene Moral war gegenseitig, wir waren eins geworden und das hat uns Hoffnung und Motivation gegeben.“

Mit Tränen in den Augen und Wut im Herzen Wäsche waschen

Hiwa fasst ihre Aufgabe so zusammen: „Mein Auftrag an der Front war es, die Kleidung der Verletzten zu waschen, mich um sie zu kümmern und zu kochen.“ Ihr steigen die Tränen in die Augen, als sie von jenen Tagen erzählt. Ihre Schilderung ist so systematisch, als ob sie diese Zeit ein weiteres Mal erlebt. Deshalb will ich sie nicht unterbrechen, ihre Worte sprechen für sich:

„Eines Tages wurde uns Kleidung zum Waschen gebracht. Ein Freund wies auf ein Hemd und sagte, dass es wohl nicht mehr zu gebrauchen sei. Ich sah es mir an, offensichtlich war jemand schwer verletzt worden. An dem Hemd klebten Fleischteile. Ich dachte, dass ich das Hemd dieses Kämpfers, der sich mit seinem Körper schützend vor das Volk gestellt hat, waschen sollte, damit ein anderer Kämpfer es tragen kann. Mit Tränen in den Augen und Wut im Herzen habe ich es gewaschen, getrocknet und erneut an die Front geschickt. Es war die Zeit der Mobilmachung, aus allen vier Teilen Kurdistans kamen Menschen an. Irgendwer würde das Hemd sicher brauchen.

Die Kleidung von Verwundeten oder Gefallenen zu waschen, war eine schwere Arbeit. Also es war in ideeller Hinsicht schwer. Wenn zum Beispiel ein Hemd voller Blut war, haben wir unweigerlich darüber nachgedacht, wie derjenige verletzt worden ist und ob er wohl gefallen ist. In der Tasche der Kleidung eines Kämpfer haben wir eine Fahne von TEV-DEM gefunden. Die Fahne war völlig durchlöchert. Ich nahm sie an mich und sagte, dass wir sie aufhängen werden. Sie war völlig zerfetzt, in welchem Zustand mochte wohl der Kämpfer sein?“

Unsere Kämpfer sollen gut riechen

„Wenn die Kleidung oder Decken sehr blutig oder voller Schlamm waren, haben wir sie einen Tag lang eingeweicht, damit keine Blutflecken daran bleiben. Es war inzwischen Winter geworden, der Wind war scharf wie eine Rasierklinge, es regnete und manchmal schneite es. Als Heval Şilan und ich zu den Wannen gingen, in denen wir die Kleidung eingeweicht hatten, war das Wasser gefroren und die Sachen waren unter dem Eis nicht mehr zu sehen. Wir holten sie sofort rein und befreiten die Kleidung vom Eis. Dann wuschen wir sie, bis kein Fleck mehr zu sehen waren. Damit die Kämpferinnen und Kämpfer das Blut nicht riechen und sich nicht fragen müssen, wessen Blut es wohl ist, haben wir die Kleidungsstücke nochmal in die Waschmaschine getan. Unsere Kämpfer sollten gut riechen... Im schneidenden Wind und bei Schneefall brachten wir die Decken und alle Kleidungsstücke aufs Dach, um sie dort zum Trocknen auszubreiten.“

Die Verletzten gaben uns Kraft

„Wir machten Essen. Vor allem morgens, wenn die Verwundeten ihr Frühstück holten, stärkten sie unsere Moral. Einigen fehlte ein Fuß, anderen der Arm. Manchmal riefen sie vom Dach aus zu uns herunter und fragten, ob das Essen fertig ist. Manchmal nahmen wir die Töpfe und gingen zu ihnen.

Im Städtekrieg stand vor allem der genossenschaftliche Geist im Vordergrund. Es gab kein Gas und wir kochten das Essen über dem offenen Feuer. Es war schön, den Verwundeten zuzuhören, wenn sie sich unterhielten. Eine Freundin hieß Silava, sie imitierte immer die anderen verletzten Freundinnen und alle lachten laut. Einige gingen zurück an die Front, wenn ihre Wunden ein bisschen verheilt waren. Sie waren so begeistert und überzeugt, ich konnte es nicht glauben, wenn sie später gefallen sind.“

Die versprochene Befreiung wird wahr

„Es waren Monate vergangen, unsere Leute hatten nur noch wenig Raum. An jenem Tag haben sie geschworen, dass Kobanê befreit wird. Und wirklich kam nach einer kurzen Zeit Heval Peyman und sagte: ,Ich habe eine gute Nachricht für euch.' Wir fragten nach, was wohl angesichts unserer Lage eine gute Nachricht sein könnte. Sie antwortete, dass sieben Straßen befreit worden sind. Wir waren gleichzeitig glücklich und traurig. Man muss ja unweigerlich an die Gefallenen denken und wünscht sich, dass auch sie diesen Tag noch erlebt hätten.

Nach diesem Tag rückten unsere Leute immer weiter vor. Inzwischen waren sie bis Kaniya Kurda gekommen. Wir wuschen gerade mal wieder Wäsche, als eine Freundin kam und sagte: Das Zentrum von Kobanê ist befreit. Da setzten wir uns hin und weinten.“

Wen kümmert das zerbombte Haus

„Später erfuhren wir, dass die Dschihadisten unser Haus in Helince gesprengt haben. Es gab so viele Gefallene, wen kümmerte da schon das Haus. Es gab jedoch viele Erinnerungen an Freundinnen in diesem Haus, nur das machte mich traurig. Nachdem die Stadt befreit war, wollte ich nur eins. Ich sagte zu den Freundinnen: Lasst uns zum Friedhof gehen. Mein Neffe Demhat war gefallen und der Schmerz war noch sehr frisch. Ohne sein Grab und die Gräber der anderen zu sehen, wollte ich nirgendwo hingehen. Wir wurden zum Friedhof gebracht. Als letztes war Demhat beerdigt worden. Wir saßen eine lange Zeit an seinem Grab und sagten ihm, was wir zu sagen hatten. Von dort aus fuhren wir nach Helince. Unser Haus war nicht mehr zu erkennen. Das ganze Dorf war so. Alle unsere Erinnerungen waren von den Islamisten dem Erdboden gleichgemacht worden. Es lag jetzt an uns, diese Erinnerungen lebendig zu halten. Es dauerte noch eine Weile, bis wir unser Haus wieder hergerichtet hatten. Als es wieder sauber war, brachten wir Verletzte dort unter. Sie blieben eine lange Zeit bei uns. Wir arbeiteten mit den Freunden zusammen, bis die Bevölkerung wieder zurückgekehrt und untergebracht war. Dieser Tag ist heute, wir arbeiten immer noch.“

Wenn eine von uns fällt

„Meine Schwester und ich hatten uns gegenseitig unser Wort gegeben: Wenn eine von uns fällt, wird die andere auf keinen Fall nach Hause gehen. Sie wird sich den Kämpferinnen anschließen! Innerhalb von sechs Monaten haben wir nur einmal getrennt übernachtet. In dieser Nacht konnte ich bis zum Morgen nicht einschlafen. Seit unserer Kindheit haben wir alle Schwierigkeiten gemeinsam bewältigt und zusammen gekämpft.“