Eine feministische Außenpolitik, die das Singen verbietet

Während die Bundesregierung einen Dialog mit der PKK und der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien als heikel betrachtet, öffnet sie gleichzeitig die Tür zu autoritären Regimen und extremistischen Gruppen.

Ein Kommentar von Ali Çiçek

Stellen Sie sich eine karge, staubige Landschaft in Afghanistan vor, wo die Sonne unbarmherzig brennt. In der Mitte versammeln sich Männer in traditionellen Gewändern um ein loderndes Feuer, dessen Flammen hoch züngeln. In ihren Händen halten sie Instrumente, die einst Melodien der Freude verkörperten. Doch unter dem strengen Blick der Taliban werden diese Instrumente in die Flammen geworfen. Das Holz knistert, während die Musik in der Hitze des Feuers vergeht. Die Männer beobachten mit entschlossenen Gesichtern die Verbrennung der Instrumente, die für viele ein Symbol der Freiheit waren. In diesem Moment wird deutlich, wie tiefgreifend die Auswirkungen der Taliban auf die afghanische Gesellschaft sind.

Etwas mehr als drei Jahre ist es her, im August 2021, dass die Taliban erneut die Kontrolle über Afghanistan übernommen haben. Seit fast drei Jahren befindet sich nun auch die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP im Amt. Seit dem 8. Dezember 2021 bekleidet hierbei die grüne Politkerin Annalena Baerbock das Amt der deutschen Außenministerin. Sie prägte bei ihrem Amtseintritt den Ausdruck „wertegeleitete Außenpolitik“, der sich auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung findet. Es werden zwar auch die Interessen hervorgehoben, jedoch betont die grüne Außenministerin die Werte, die die deutsche Außenpolitik leiten sollen: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte. Im Koalitionsvertrag findet sich der programmatische Satz, dass die Bundesregierung sich für die „Bewahrung unserer freiheitlichen Lebensweise in Europa und den Schutz von Frieden und Menschenrechten weltweit einsetzen“ wird. Als Fundament wird formuliert: „Dabei leiten uns unsere Werte und Interessen.“

Neben der „wertegeleiteten Außenpolitik“ ist auch die Bezeichnung „Wertepartner“ ein Begriff, auf den man regelmäßig in Berichten über die deutsche Außenpolitik stößt. Dieser bezieht sich laut allgemeiner Definition auf Staaten, die ähnliche grundlegende Werte und Prinzipien teilen, insbesondere in Bezug auf Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und soziale Gerechtigkeit. Diese Partnerschaften basieren auf der Überzeugung, dass gemeinsame Werte eine solide Grundlage für die Zusammenarbeit in Bereichen wie Sicherheit, Wirtschaft und Entwicklung bieten. Im Selbstverständnis der deutschen Außenpolitik wird der Begriff häufig verwendet, um die Beziehungen zu Ländern zu kennzeichnen, die sich für die gleichen politischen und ethischen Standards einsetzen. Deutschland strebt demnach danach, mit seinen Wertepartnern zusammenzuarbeiten, um globale Herausforderungen wie Klimawandel, Konflikte und humanitäre Krisen anzugehen und eine friedliche, gerechte und nachhaltige Weltordnung zu fördern.

Ein weiterer Anspruch der Bundesaußenministerin ist die der feministischen Außenpolitik. Diese zielt darauf ab, Geschlechtergerechtigkeit und die Rechte von Frauen in der internationalen Politik zu fördern. Dies bedeutet, dass bei außenpolitischen Entscheidungen und Strategien die Perspektiven und Bedürfnisse von Frauen stärker berücksichtigt werden sollen. Ein zentraler Aspekt dieser Politik ist die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, die Förderung von Frauen in Führungspositionen und die Sicherstellung, dass Frauen in Friedensprozesse und Konfliktlösungen einbezogen werden.

In Hinsicht auf Demokratie, Menschenrechte, Frauenrechte, Gleichheit und Gerechtigkeit existieren in der Region des Nahen und Mittleren Ostens regelrecht zwei verschiedene Welten. Auf der einen Seite die Taliban-Herrschaft in Afghanistan seit ihrer Machtübernahme im Jahr 2021. Sinnbildlich für ihre Annäherung gegenüber Frauen steht ihr neues „Tugendgesetz“. Es sieht unter anderem vor, dass „muslimische Frauen verpflichtet sind, ihr Gesicht und ihren Körper zu bedecken", wenn sie sich in Gegenwart von Männern befinden, die nicht direkt mit ihnen verwandt sind. Die Stimme einer Frau sei intim, daher sollte sie nicht in der Öffentlichkeit singen, rezitieren oder laut vorlesen, heißt es etwa in Artikel 13 des Regelwerks über Laster und Tugenden. Zudem besteht auch ein Musikverbot. Denn den Taliban zufolge führe die Förderung von Musik zur moralischen Verdorbenheit. Das Spielen von Instrumenten bringe die Jugend auf Abwege und zerstöre die Gesellschaft. Symbolisch stehen hierfür die Verbrennungen von Musikinstrumenten auf Scheiterhaufen durch die Taliban.

Auf der anderen Seite steht dieser Taliban-Herrschaft in Afghanistan der gesellschaftliche Aufbruch in der Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien (Rojava) diametral gegenüber. Dort stehen seit nun über zwölf Jahren Frauen an vorderster Stelle im Aufbau eines für die Region beispiellosen Gesellschaftssystems. Der Gesellschaftsvertrag garantiert das multiethnische und -religiöse System in Nord- und Ostsyrien. Mit den seit 2014 in Rojava eingeführten Frauengesetzen fungieren diese als rechtliche Rahmung und Untermauerung des gesellschaftlichen Aufbruchs und vor allem der Frauenrevolution in Nord- und Ostsyrien. Die Frauengesetze beinhalten ein Vorgehen gegen patriarchale Verhältnisse und Praktiken und stärken die Rolle und Bedeutung von Frauen. Dabei stellen sie als rechtliche Grundlage einerseits eine Festigung der bisher errungenen feministisch-emanzipatorischen Strukturen dar, andererseits dienen sie mit Blick auf die Zukunft einer weitergehenden Demokratisierung und Gleichberechtigung der Geschlechterverhältnisse in der Gesellschaft. In Rojava ist die autonome Frauenorganisation, der Ko-Vorsitz, die Fraueneinheiten in innerer Sicherheit und im Militär sowie die Frauenhäuser und die Rolle der Frauen im Recht und weiteren gesellschaftlichen Institutionen aus Nord- und Ostsyrien zur relativen Normalität geworden. Als feministische Errungenschaften und Werte bilden sie das Fundament der Rojava-Revolution. Die Frauengesetze und der Gesellschaftsvertrag verankern diese ideellen und institutionellen demokratischen Errungenschaften auf rechtlicher Ebene zu tatsächlichen wie auch forcierten gesamtgesellschaftlichen Normen.

Während also in der einen Welt mit „Tugendgesetzen“ Frauen das Singen verboten wird und Instrumente auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden, wurde in der anderen Welt ein soziales und politisches Leben aufgebaut, in dem die Frau im Zentrum steht. Einmal mehr stellt sich die Frage, wer in diesem Sinne die sogenannten Wertepartner der deutschen Bundesregierung sind. Denn während die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien weiterhin keinerlei politische Anerkennung erhält, offizielle diplomatische Gespräche gemieden, türkische Annexionspläne nur mit Lippenbekenntnissen kritisiert, türkische „Anti-Terror“-Diskurse vorbehaltlos übernommen und Solidaritätsbewegungen mit Rojava im eigenen Land kriminalisiert werden, werden Gespräche mit den Taliban nicht als Tabu gesehen.

Bereits 2020 und 2021 führte die Bundesregierung in Doha, der Hauptstadt von Katar, Gespräche mit den Taliban. Das Treffen fand zwischen Delegationen unter der Leitung von Botschafter Jasper Wieck, dem deutschen Sonderbeauftragten für Afghanistan und Pakistan, und Abdul Haq Wasiq, dem Vertreter der Taliban in Europa, statt. Die damaligen geheimen Treffen zwischen Deutschland und den Taliban wurden vom deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) organisiert. Während sich die USA, Russland und China offen mit den Taliban trafen, war Deutschland bemüht, diese geheim zu führen. Denn die deutsche Bundesregierung und der Organisator der Treffen, der BND, waren sich im Klaren, dass dies einen Widerspruch darstellt zur „wertegeleiteten Außenpolitik“ Deutschlands und ihrem Anspruch, in Bezug auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte ein Vorreiterstaat zu sein.

Während diese Widersprüche vor einigen Jahren noch zu kritischen Berichterstattungen führten, ist seit der zunehmenden rechten Verschiebung in der Migrationsfrage und dem islamistisch motivierten Attentat von Solingen eine Veränderung zu beobachten. Die Debatte über konsequentere Abschiebungen hat nicht nur innenpolitische Konsequenzen, sondern auch bedeutende außenpolitische Implikationen. Politiker verschiedener Parteien bringen nun Gespräche mit den Taliban in Afghanistan und dem syrischen Machthaber Assad ins Spiel. So sagte der Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, der FDP-Politiker Joachim Stamp, über direkte Gespräche mit den militant-islamistischen Taliban: „Unverbindliche Sondierungsgespräche könnten eine Option sein“. Auch CDU-Chef Friedrich Merz äußerte sich in eine ähnliche Richtung: „Ich rate dazu, dass Deutschland direkte Verhandlungen mit den Machthabern in Afghanistan und Syrien über die Rücknahme ihrer Staatsbürger aufnimmt.“ Und der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Nils Schmid, sagte: „Wir werden nicht umhin kommen, mit dem Taliban-Regime und dem Regime in Damaskus technische Gespräche über einzelne Punkte zu führen, etwa Abschiebungen.“ Der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Ulrich Lechte, hält ebenfalls Abschiebungen von verurteilten Straftätern nach Syrien unter bestimmten Voraussetzungen für möglich: „Teile von Syrien, wie die Gegend rund um die Hauptstadt Damaskus, sind für ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder sicher.“

Diese Situation wirft grundlegende Fragen zur Kohärenz und Integrität der deutschen Außenpolitik auf. Es ist bemerkenswert, dass die Bundesregierung bereit ist, mit Regimen und Gruppen zu verhandeln, die nicht nur in direktem Widerspruch zu den Werten stehen, die sie selbst propagiert, sondern auch aktiv gegen die Prinzipien der Menschenrechte und der Demokratie arbeiten. Der Dialog mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die sich für die Rechte der Kurden und für eine demokratische Gesellschaft einsetzt, oder auch mit der demokratischen Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien wird als problematisch angesehen. Dabei spielt die kurdische Freiheitsbewegung eine entscheidende Rolle in der Demokratisierung der Region, indem sie nicht nur für die politischen und kulturellen Rechte der Kurdinnen und Kurden kämpft, sondern auch für eine pluralistische Gesellschaft, in der verschiedene ethnische und religiöse Gruppen koexistieren können. Zudem hat die PKK eine bedeutende Rolle im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) gespielt, indem sie militärisch gegen diesen vorgegangen ist und somit zur Stabilität in der Region beigetragen hat. Während die Bundesregierung den Dialog mit der PKK als heikel betrachtet, öffnet sie gleichzeitig die Tür zu autoritären Regimen und extremistischen Gruppen, was die Frage aufwirft, wie ernsthaft sie sich für die Werte der Demokratie und Menschenrechte einsetzt.