Mit der Revolution von Rojava begann 2012 in Nord- und Ostsyrien der Aufbau eines neuen Bildungssystems auf demokratischer Grundlage. Dem neuen Bildungssystem liegt das pluralistische, radikaldemokratische Paradigma der Demokratischen Nation zugrunde.
Während vor der Revolution Kurdisch nur im Geheimen unterrichtet wurde und Aramäisch nur als Liturgiesprache zugelassen war, wird mittlerweile der Unterricht in der Muttersprache geführt. Kurdisch, Arabisch und Aramäisch gehören zu den Amtssprachen, und es gibt ein dreisprachiges Bildungssystem. Jede Bevölkerungsgruppe hat das Recht auf Bildung in ihrer Muttersprache, und auch durch die Einrichtung von Sprachkursen wird dem Verlust der Sprachen vorgebeugt.
Das Schuljahr in Nord- und Ostsyrien hat am 8. September begonnen. Mehr als 860.000 Schüler:innen werden von 41.000 Lehrer:innen unterrichtet. Insgesamt gibt es 3.063 Grundschulen, 179 Sekundarschulen und 46 Gymnasien und Gesamtschulen. Insgesamt sind das 4.120 Schulen. Zwanzig Schulen sind jedoch aufgrund des Krieges nicht nutzbar. Sie sind vor allem von Angriffen der Türkei zerstört oder schwer beschädigt worden.
Die Grundschule umfasst die Klassen eins bis sechs, die Mittelschule die Klassen sieben bis neun und die Oberschule die Klassen zehn bis zwölf. Jede Schülerin und jeder Schüler absolviert die ersten drei Schuljahre in der jeweiligen Muttersprache Kurdisch, Aramäisch oder Arabisch. Ab der fünften Klasse wird Englisch als Fremdsprache unterrichtet.
Der 2014 eingerichtete Lehrplanausschuss hat in diesem Jahr einige Änderungen an den Lehrplänen für die Klassen eins, vier, sieben und zehn vorgenommen. Das Lehrmaterial für diese Klassenstufen wurde verbessert. Der Ausschuss hat den Lehrplan etwa vier Jahre lang eingehend analysiert und versucht, dessen Mängel zu beheben. Das erste Halbjahr endet am 2. Januar 2025, das zweite Halbjahr beginnt am 15. Januar und endet am 15. Mai 2025.
Semîra Hec Elî, Ko-Vorsitzende des Bildungsausschusses der Demokratischen Selbstverwaltung in der Region Nord- und Ostsyrien, erklärte, dass im Schuljahr 2024/25 ein Elternrat eingerichtet wurde und der Lehrplan in der Region vereinheitlicht werden solle. Elî führte aus: „Wir haben den Elternrat gegründet, um die gemeinsame Arbeit von Schülern, Lehrern und Familien zu fördern und die Fortschritte zu überwachen. Wir hielten dieses System für notwendig, um die Bindung zwischen der Gesellschaft und den Schulen zu stärken und um sicherzustellen, dass das Bildungssystem in den Familien effektiv ist. Darüber hinaus wurden in der Region umfangreiche Arbeiten zur Vereinheitlichung des Lehrplans durchgeführt. Zuvor waren die Lehrpläne in den Kantonen Firat, Cizîrê und Şehba-Efrîn identisch. In diesem Jahr wird der Lehrplan von der ersten bis zur zwölften Klasse im Kanton Tabqa, von der ersten bis zur neunten Klasse im Kanton Raqqa und von der ersten bis zur sechsten Klasse in den Kantonen Minbic und Deir ez-Zor im Einklang mit dem Bildungs- und Ausbildungssystem der Demokratischen Autonomen Verwaltung von Nord- und Ostsyrien durchgeführt. Unser Hauptziel ist es, die Integrität unseres Lehrplans in der Region zu gewährleisten. Um den Lehrplan weiterzuentwickeln und zu bereichern, wird über einen Zeitraum von drei bis vier Jahren eine Überprüfung durchgeführt. In diesem Jahr wurden die Lehrpläne für die erste, vierte, siebte und zehnte Klasse geändert und erweitert.“
„Jede ethnische Identität hat das Recht, ihre eigene Sprachinstitution zu eröffnen“
Semîra Hec Elî weiter: „In Nord- und Ostsyrien wird Bildung auf Kurdisch, Arabisch und Aramäisch angeboten. Aber auch die armenische, tscherkessische, turkmenische und sonstigen Bevölkerungsgruppen haben das Recht, Bildungsangebote in ihrer Muttersprache einzurichten. Wir arbeiten derzeit an der Eröffnung eines armenischen Sprachinstituts.“
In Bezug auf die Lehrer:innen erklärte Elî: „In der Anfangsphase der Revolution haben wir unser Bildungssystem mit Lehrer:innen aufrechterhalten, die die Sprache fließend beherrschten, ohne dass wir nach Professionalität suchten. Mit der Eröffnung von Grundschulen, weiterführenden Schulen, Gymnasien und Universitäten müssen die Lehrkräfte nun jedoch ein Universitäts- oder Institutszertifikat vorweisen. Auch Lehrer:innen, die keinen Abschluss an einem Institut oder einer Universität der Selbstverwaltung erworben haben, können mit einer schriftlichen Prüfung an unseren Schulen arbeiten. Es ist auch eine der wichtigsten Voraussetzungen, dass unsere Lehrer:innen die Philosophie der Demokratischen Nation gut verstehen.“
„Die türkischen Angriffe haben einen negativen Einfluss auf die Bildung“
Elî klagte an, dass sich die Angriffe des türkischen Staates insbesondere gegen Bildungseinrichtungen richteten. „Die Schulen sind besonders betroffen“, betonte sie. „Die Kinder in den Grenzgebieten sind ständig von Angriffen bedroht, und viele Schulen wurden beschädigt oder unbrauchbar gemacht. Wir haben es mit Online-Bildung als Alternative versucht, aber das ist kein Ersatz für den persönlichen Unterricht. Darüber hinaus wurde unser 1-4-7-10-Lehrplan in Videounterricht übertragen. Das Lernen unter Beschuss wirkt sich negativ auf die Psyche der Kinder aus und verhindert, dass sie die gewünschten Ergebnisse erzielen. Wir stellen kostenloses Lehrmaterial bis zur zwölften Klasse zur Verfügung, aber aufgrund der Angriffe und des Embargos ist es für die Familien schwierig, ihren Bedarf an Lehrmaterial zu decken.“
Elî erklärte, dass es auch gewisse Unterschiede in den kurdischen, arabischen und aramäischen Lehrplänen gibt. Sie erklärte: „Unser Lehrplan ist dreisprachig: Kurdisch, Arabisch und Aramäisch. Jede Sprache hat unterschiedliche Lieder. Unsere Unterrichtsmaterialien werden in der Regel übersetzt, sodass es keine großen Unterschiede gibt, aber kulturelle Unterschiede können den Kursinhalt verändern. Die spezifische Kultur eines jeden Volkes wird behandelt. Kinder wachsen mit unterschiedlichen Kulturen auf, und das dreisprachige System zielt darauf ab, ein gemeinsames Leben, eine gemeinsame Kultur und ein gemeinsames Gefühl zu schaffen. Die Einheit des Geistes in der Schule spiegelt sich direkt in der Gesellschaft wider.“
30 Lehrkräfte für Armenisch-Unterricht ausgebildet
Imad Teteriyan berichtete über den Unterricht in armenischer Sprache: „Wir brauchten professionelle Lehrerkräfte, um die armenische Sprache am Leben zu erhalten. Wir haben Sprachkurse für alle Mitglieder der armenischen Gemeinschaft, ob jung oder alt, angeboten und 30 spezialisierte Lehrkräfte ausgebildet. 2025 wird unser Sprachinstitut eröffnet. Die Einrichtung wird Lehrerinnen und Lehrer von der Grundschule bis zur Universität ausbilden und armenischen Kindern muttersprachlichen Unterricht anbieten. Die Lehrkräfte werden am Vormittag geschult und unterrichten die Schüler am Nachmittag. Wenn die Selbstverwaltung in das Bildungssystem einbezogen wird, wird eine solide Grundlage für armenische Kinder geschaffen.“
Teteriyan erklärte, dass die Vorbereitungen für den Lehrplan für Nord- und Ostsyrien im Gange seien: „Der Lehrplan für die erste bis dritte Klasse ist fertiggestellt. Die Vorbereitungen für den Lehrplan bis zur sechsten Klasse werden bald beginnen. Die Kinder, die an der Sprachschule lernen, werden in das Bildungssystem der autonomen Verwaltung einbezogen und erhalten eine bessere Ausbildung.“ Er kündigte an: „Im Jahr 2026 werden die armenischen Kinder ihre Geschichte, Kultur, Sprache, Traditionen und Bräuche im Einklang mit dem Paradigma der demokratischen Nation lebendig halten.“
Das aramäische Sprachinstitut Olaf Tao
Das aramäische Sprachinstitut Olaf Tao ist verantwortlich für die Ausbildung von aramäischen Lehrer:innen, die mit den Materialien der Autonomieverwaltung unterrichten, und für die Anpassung des Lehrplans an die aramäische Sprache. Die Einrichtung bietet auch Sprachkurse für neue Generationen an, damit diese ihre Muttersprache erlernen können. Olaf Tao, das über Zentren in Dêrik, Hesekê, Qamişlo, Dirbêsiyê und Tirbêspiyê verfügt, hat nun das Schuljahr 2024/25 eingeleitet, um sicherzustellen, dass aramäische Kinder auch in den Kirchen von den Unterrichtsmaterialien der Autonomiebehörde profitieren können.
Saliba Yakub aus der Leitung von Olaf Tao stellte die Institution vor: „Olaf Tao wurde 2014 gegründet, und wir unternehmen große Anstrengungen, um die aramäische Sprache weiterzuentwickeln. Wir wollen, dass unsere Kinder mit ihrer Kultur, Sprache und Geschichte aufwachsen. Deshalb ist es notwendig, Menschen auszubilden, die die aramäische Sprache gut beherrschen. Olaf Tao hat sich dieser Aufgabe angenommen. Im Jahr 2019 haben wir den nord- und ostsyrischen Lehrplan von der Grundschule bis zum Gymnasium auf Syrisch angepasst und den Kindern in den Kirchen ausgehändigt. Wenn eine Änderung des aramäischen Lehrplans erforderlich ist, diskutieren und entscheiden wir gemeinsam.“