Am Sonntag jährte sich der Ausbruch der Krise in Syrien zum neunten Mal. Am 15. März 2011 protestierten in der Hauptstadt Damaskus erstmals Menschen für Menschenrechte und Reformen und gegen das autoritäre Regime von Präsident Baschar al-Assad. Die syrische Führung ging damals mit Gewalt gegen die Demonstrant*innen vor und schlug die Proteste über Monate blutig nieder. Daraus entwickelte sich ein verheerender Bürgerkrieg, der rasch zum Stellvertreterkrieg regionaler und internationaler Mächte ausuferte und längst noch nicht zu Ende ist.
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Efrîn sind in diesem Zeitraum mindestens 447 syrische Schutzsuchende im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei von türkischen Sicherheitskräften getötet worden. Bei 83 von ihnen handelte es sich demnach um Minderjährige, 56 weitere waren Frauen. Das geht aus einem Bericht aus medial erfassten und von Menschenrechtsorganisationen zusammengetragenen Daten zu Tötungen an der 911 Kilometer langen Grenze zwischen beiden Ländern hervor. Im gleichen Zeitraum wurden 420 syrische Staatsbürger*innen von türkischen Grenzbeamten verletzt.
„Sollte die Türkei die Tötungen dieser Menschen mit der Pflicht, ihre Grenze an Syrien zu schützen begründen, muss sie mit Nachdruck ihrer Verpflichtung nachkommen, im Einklang mit dem Grundsatz der Nichtzurückweisung gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zu handeln“, heißt es im Bericht. Das Nichtzurückweisungsprinzip verbietet die Auslieferung, Ausweisung oder Rückschiebung einer Person in ein anderes Land, falls ernsthafte Gründe für die Annahme vorliegen, dass für die betreffende Person im Zielland ein ernsthaftes Risiko von Folter beziehungsweise unmenschlicher Behandlung oder einer anderen sehr schweren Menschenrechtsverletzung besteht.
„Aber auch jetzt, wo die Türkei Flüchtlinge wieder als Druckmittel missbraucht, um EU-Gelder zu erpressen und Zugeständnisse und Unterstützung Europas für das Vorgehen Ankaras in Syrien zu erzwingen, setzt der türkische Staat wieder auf scharfe Munition gegen Schutzsuchende, um dem anwachsenden Flüchtlingsstrom entgegenwirken.Obwohl die Türkei eine der Garanten für die Deeskalation in Syrien ist, eine der wesentlichen Konfliktparteien darstellt und die Aufgabe hat, Flüchtlinge und Vertriebene zu schützen, verhält sie sich genau umgekehrt.
Wir als Menschenrechtsorganisation Efrîn appellieren deshalb an alle internationalen Menschenrechts- und Bürgerorganisationen sowie die Vereinten Nationen, Druck auf die türkische Regierung auszuüben, um die Anwendung übermäßiger Gewalt gegen syrische Flüchtlinge und Vertriebene und andere zu verhindern. Als Mitgliedsland des Europarats muss die Türkei alle internationalen Gesetze und Konventionen zur Einhaltung der Menschenrechte respektieren.”