Çiya Kurd: „Werden unser Recht auf Selbstverteidigung benutzen“

Bedran Çiya Kurd von der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien erklärt, angesichts der Angriffe der Türkei werde „vom Recht auf legitime Selbstverteidigung“ Gebrauch gemacht.

Täglich greifen die türkische Armee und ihre Söldnertruppen die selbstverwalteten Gebiete in Nord- und Ostsyrien an. Währenddessen werden immer neue Truppen in den von der Türkei besetzten Gebieten in Nordsyrien zusammengezogen. Viele Anzeichen deuten auf die Vorbereitung einer umfassenden Invasion hin. Die Türkei scheint einen Deal mit dem syrischen Regime und Russland schließen zu wollen, Gebiete in Rojava wie Kobanê gegen Idlib zu tauschen. Im Interview mit der Nachrichtenagentur Mezopotamya bewertet der stellvertretende Ko-Vorsitzende des Exekutivrats der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, Bedran Çiya Kurd, die aktuellen Entwicklungen in der Region.

Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohungslage durch die Türkei gegenüber Nord- und Ostsyrien?

So wie die Türkei alles daran setzt, unsere Region zu besetzen, versucht sie auch mit Ausreden und Lügen, die Entwicklung unseres demokratischen Projekts zu verhindern. Die Türkei versucht, Spannungen und Konflikte unter den Völkern der Region zu schaffen. Sie nutzt all diese Instrumente, um ihre Invasionspolitik voranzutreiben. Aber die regionalen und internationalen Balancen ändern sich gerade, und es besteht Konsens darüber, dass die Türkei eine negative Rolle in der Region spielt, insbesondere in Syrien. Aber es gibt auch solche, deren Unkenntnis und Ignoranz genutzt wird, und sich der auf Gebietstausch basierenden Politik der Türkei anschließen. Wir können nicht sagen, dass es praktisch keine Bedrohung für die Türkei auf unserem Territorium gibt, weil die Türkei nicht zögern wird anzugreifen, wenn sie eine Gelegenheit sieht. In diesem Sinne stützen wir uns auf den Geist der Solidarität in unserer Bevölkerung und die revolutionären Errungenschaften. Die Welt, insbesondere die internationale Koalition, sollte nicht zulassen, dass die gegen den „Islamischen Staat“ (IS) erzielten Erfolge durch die Türkei gefährdet werden.

Was ist das Ziel der verschärften Angriffe der Türkei auf Tel Rifat und die Şehba-Region?

Wir wissen, dass die Türkei definitiv unsere Region besetzen will. Deshalb greifen die Besatzungstruppen überall an. Tel Rifat und Şehba sind jedoch die Regionen, in denen die Binnenflüchtlinge aus Efrîn leben. Die Türkei will diese Gebiete nutzen, um ihre Vertreibungspolitik zu vollenden, die Besatzung auszuweiten und unseren Widerstand zu brechen. Mit den Krisen, die dort geschaffen werden sollen, soll diese Region zu einem sicheren Rückzugsgebiet für die Söldner, die aus Idlib abgezogen werden, gemacht werden.

Die Türkei sucht in den Gesprächen mit den USA und Russland nach einer Basis für eine Operation. Ist ihr dies gelungen?

Nach unseren Informationen haben die Vereinigten Staaten der Türkei kein grünes Licht gegeben. Aber wir wissen nicht, ob die Türkei nicht auch so angreifen wird. Die Türkei und Erdoğan stecken in der Krise. Erdoğan ist bekannt für seine Politik, sich Krisen zu entziehen und die türkische Öffentlichkeit zu täuschen.

Man muss aber wissen, dass die Drohungen der Türkei sowohl regional als auch international eine Gefahr darstellen. Wenn sich die Türkei in Syrien aufhält, dann betreffen die Folgen nicht nur die Region, sondern sogar die ganze Welt. Wenn also die Rolle der Türkei schwächer wird, kann Stabilität erreicht werden.

Wie will sich die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien gegen mögliche Angriffe wehren? Was passiert, wenn Russland und die USA zustimmen?

Als Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien wollen wir, dass alle Fragen über einen Dialog gelöst werden. Unsere Projekte, unseren Errungenschaften und alle Elemente der Bevölkerung stehen zusammen. Wir werden keine Bedrohung zulassen. Wenn die Türkei uns angreift, werden wir unser Recht auf Selbstverteidigung ausüben. Wir werden die Politik und die Drohungen der Türkei sowohl politisch als auch diplomatisch nicht hinnehmen. Wir werden nicht akzeptieren, dass unsere Errungenschaften in Gefahr gebracht werden.

Was ist Ihre Prognose zu den Folgen eines möglichen türkischen Angriffs auf Nord- und Ostsyrien?

Wo die Türkei ist, dort herrscht Chaos, Besatzung, Konfessionskrieg und Terror. Wenn es also einen türkischen Angriff gibt, werden diese Probleme weiter in den Vordergrund treten. Das ist eine große Gefahr nicht nur für Syrien, sondern für die ganze Welt. Wir alle haben schon einmal sehen können, wie die Türkei Syriens Grenzen in ein Zentrum des Chaos und der Sabotage verwandelt hat. Wir haben auch gesehen, wie die Welt gegenüber dem Chaos in Syrien schweigt.

Sie haben in vielen Ländern, in den USA, Russland und Europa diplomatische Gespräche geführt. Was waren die Ergebnisse?

Unsere diplomatischen Besuche in Moskau, Washington und Europa haben zu einem für uns wichtigen Zeitpunkt stattgefunden. Wir haben diese Treffen mit dem Fokus auf eine friedliche Lösung im Dialog und einer demokratischen Perspektive durchgeführt. Wir haben gesagt, dass wir ein geeintes Syrien wollen. Bei diesen Besuchen stellten wir fest, dass einige Leute sich unseres Projekts und unserer Rolle hier nicht bewusst waren. Auf diesen Treffen haben wir unser Streben und unseren Glauben an den Frieden dargestellt. Gleichzeitig wurde eine Atmosphäre geschaffen, die den Weg für die Eröffnung von Vertretungen des Demokratischen Syrienrats (MSD) und für umfassende diplomatische Arbeiten ebnete.

Es finden auch Treffen für eine neue Verfassung für Syrien und eine Lösung statt. Allerdings ist die Selbstverwaltung dort nicht einbezogen. Kann es so bald eine Lösung geben?

Die stattfindenden Verhandlungen ignorieren den Willen des Volkes einer Region, die fünf Millionen der Bevölkerung und 30 Prozent Syriens ausmacht. Solche Verhandlungen kann man nicht als Gespräche bezeichnen, es handelt sich um eine Verteilung von Machtpositionen, nicht um einen Weg zur Lösung. Alle Völker Syriens benötigen Versöhnung. Wir sollten die Realität Syriens als unsere eigene Realität betrachten und sie nicht ignorieren.