Für viele Journalistinnen und Journalisten ist die Arbeit schwieriger und gefährlicher geworden. Das geht aus dem Jahresbericht zur Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen” (RSF) hervor. Europa gehört nach Angaben der Organisation zu den Regionen, in denen sich die Lage der Medienschaffenden am stärksten verschlechtert hat. In der am Donnerstag veröffentlichten Rangliste im internationalen Vergleich spricht RSF von einem wachsendem Klima der Angst und weist unter anderem auf Morde an Journalist*innen in der Slokawei und auf Malta hin. In der Rangfolge von 180 Staaten mit den besten Bedingungen für Pressefreiheit verbesserte sich Deutschland um zwei Plätze auf Rang 13. An der Spitze steht zum dritten mal Norwegen, gefolgt von Finnland und Schweden. Am Ende der Skala finden sich Eritrea, Nordkorea und Turkmenistan.
RSF: Türkei größtes Journalistengefängnis
Die Türkei bezeichnet der Bericht als weltweit größtes Gefängnis für Journalist*innen. RSF geht von mindestens 68 Journalist*innen aus, die sich dort zur Zeit in Haft befinden. Die türkische Journalistengewerkschaft TGS spricht von 133 Medienschaffenden in Haft. Selbst dem türkischen Vertreter von „Reporter ohne Grenzen”, Erol Önderoğlu, droht eine Haftstrafe. Der Journalist hatte sich als „symbolischer Chefredakteur“ im Rahmen der Kampagne „Bereitschaftsjournalismus“ mit der verbotenen prokurdischen Tageszeitung Özgür Gündem solidarisiert und wurde daraufhin wegen „Terrorpropaganda” angeklagt. Im Zuge derselben Anschuldigungen wurden bereits mehrere Journalist*innen zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.
„Medienlandschaft steht fast vollständig unter Kontrolle der Regierung“
Die Türkei ist schon lange als weltweit größtes Gefängnis für Journalist*innen bekannt. Doch seit der Niederschlagung des Putschversuchs vom Juli 2016 gehen Regierung und Justiz härter denn je gegen kritische Journalist*innen vor, prangert RSF an. Dazu heißt es im Jahresbericht der Organisation: „Dutzende Journalist*innen wurden aufgrund ihrer Berichterstattung zu teils langjähriger Haft verurteilt, viele warten seit Jahren auf ihre Urteile oder wehren sich in Berufungsinstanzen gegen Haftstrafen. Andere sind ins Ausland geflohen. Ausländische Korrespondent*innen warten mitunter monatelang auf die Verlängerung ihrer Akkreditierungen. Die einst pluralistische Medienlandschaft steht inzwischen fast vollständig unter Kontrolle der Regierung oder regierungsnaher Geschäftsleute. Im Internet werden Tausende journalistische Beiträge blockiert.“
IPI: Verarmung der Presselandschaft
Auch das International Press Institute (IPI) beobachtet in der Türkei einen Anstieg von willkürlichen Inhaftierungen von Journalist*innen seit dem Putschversuch und eine Verarmung der Presselandschaft. Allein 106 der derzeit inhaftierten Pressemitarbeiter*innen seien nach IPI-Angaben nach dem Putschversuch festgenommen worden. Von diesen wiederum befinden sich 58 in Untersuchungshaft, 48 wurden bereits verurteilt – zu insgesamt fast 600 Jahren Haft.
Zu den Betroffenen zählen laut IPI vor allem säkulare und kurdische Journalist*innen sowie Reporter*innen, die dem Gülen-Umfeld zugerechnet werden. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wirft der Bewegung seines einstigen Verbündeten Fethullah Gülen vor, systematisch den Staatsdienst unterwandert zu haben und hinter dem versuchten Militärputsch von Juli 2016 zu stecken.
511.000 Menschen seit Putschversuch festgenommen
Seit dem sogenannten Putschversuch im Sommer vor drei Jahren hat die Türkei wegen angeblicher Verbindungen zu der Gülen-Bewegung rund 511.000 Menschen festnehmen lassen. Über 30.000 wurden bereits verurteilt oder sitzen noch in Untersuchungshaft.
Nach dem gescheiterten Putsch hatte Erdoğan zwei Jahre lang den Notstand verhängt und diesen Rahmen genutzt, um das Land mit aller Härte nach seinen Vorstellungen umzugestalten. Seit dem 24. Juni 2018 ist Erdoğan zugleich Staats- und Regierungschef. In der neuen Präsidialrepublik reicht seine Machtfülle an die der osmanischen Sultane in ihren besten Zeiten.
Über 160.000 Personen im öffentlichen Dienst wurden seit Juli 2016 entlassen oder suspendiert, 2.800 Schulen und Universitäten sowie mehr als 1.200 Stiftungen und wohltätige Organisationen geschlossen. Im Bereich der Medien traf es etwa 180 Organisationen, darunter Zeitungen, TV-Sender, Radiostationen und weitere Presseorgane, die geschlossen wurden. Auch wurden mehrere Dutzend medizinische Einrichtungen und an die 20 Gewerkschaften geschlossen. 375 Nichtregierungsorganisationen wurden verboten sowie deren Besitz konfisziert. Etwa 370 Vereine wurden wegen Terrorverdachts geschlossen.