Mehr als 500.000 Festnahmen seit Putschversuch

Seit dem sogenannten Putschversuch im Sommer 2016 hat die Türkei wegen angeblicher Verbindungen zu der Gülen-Bewegung rund 511.000 Menschen festnehmen lassen. Über 30.000 wurden bereits verurteilt oder sitzen noch in Untersuchungshaft.

Türkische Behörden haben seit dem sogenannten Umsturzversuch im Juli 2016 rund 511.000 Menschen wegen angeblicher Terrorverbindungen festgenommen. Das geht laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu aus einer Erklärung von Innenminister Süleyman Soylu hervor. 30.821 Personen wurden demnach bereits wegen Kontakten zu der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen verurteilt oder sitzen noch in Untersuchungshaft. Die türkische Regierung macht den im Exil lebenden Gülen für den Putschversuch verantwortlich.

Nach dem gescheiterten Putsch hatte Präsident Erdoğan zwei Jahre lang den Notstand verhängt und diesen Rahmen genutzt, um das Land mit aller Härte nach seinen Vorstellungen umzugestalten. Seit dem 24. Juni 2018 ist Erdoğan zugleich Staats- und Regierungschef. In der neuen Präsidialrepublik reicht seine Machtfülle an die der osmanischen Sultane in ihren besten Zeiten.

Über 60.000 Lehrerinnen und Lehrer aus dem Staatsdienst entlassen

Über 160.000 Personen im öffentlichen Dienst wurden seit Juli 2016 entlassen oder suspendiert, darunter über 60.000 Lehrer*innen, mindestens 1.500 Universitätsdekane, 4.500 Justizbeamte – darunter Richter und Staatsanwälte -, und rund 31.000 Polizisten. Allein im Innenministerium seien außerdem 44.257 Mitarbeiter aus dem Dienst entfernt worden, 5.679 blieben suspendiert. Ihnen allen wird vorgeworfen, mit den Putschisten kooperiert zu haben. Bisher hat der türkische Staat nur wenige Betroffene wieder eingestellt, so zum Beispiel 540 Mitarbeiter des Bildungsministeriums.

Geschlossene Einrichtungen

Im Rahmen der Säuberungswelle wurden rund 2.800 Schulen und Universitäten sowie mehr als 1.200 Stiftungen und wohltätige Organisationen geschlossen. Im Bereich der Medien traf es etwa 180 Organisationen, darunter Zeitungen, TV-Sender, Radiostationen und weitere Presseorgane, die geschlossen wurden. Auch wurden mehrere Dutzend medizinische Einrichtungen und an die 20 Gewerkschaften geschlossen. 375 Nichtregierungsorganisationen wurden verboten sowie deren Besitz konfisziert. Etwa 370 Vereine wurden wegen Terrorverdachts geschlossen.

Politischer Vernichtungsfeldzug gegen kurdische Opposition begann ein Jahr zuvor

Die kurdischen Kommunalverwaltungen blieben von dem politischen Vernichtungsfeldzug nicht verschont. Die Repression wurde nach dem Wahlerfolg der HDP im Juni 2015 eingeleitet und verschärfte sich nach und nach. Von den 104 Stadtverwaltungen, in denen die HDP-Komponente DBP (Demokratische Partei der Regionen) die Bürgermeister*innen stellte, wurden mittlerweile 97 unter Zwangsverwaltung gestellt. Das bedeutet, dass die Ko-Bürgermeister dieser Kommunen abgesetzt, meist auch inhaftiert, und mit Zwangsverwaltern, sogenannten Treuhändern der Regierungspartei AKP ersetzt wurden. Außerdem befinden sich 93 Bürgermeister und gewählte Stadträte sowie Mitarbeiter der Stadtverwaltungen in großer Zahl in türkischen Haftanstalten. Auch HDP-Politiker*innen, darunter die beiden ehemaligen Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, sieben weitere Parlamentarier und etliche Parteimitglieder sitzen ebenfalls im Gefängnis. Laut einem Bericht der HDP wurden allein 2018 mehr als 2.000 HDP-Mitglieder festgenommen, gegen rund 500 wurde Untersuchungshaft angeordnet.

Repressionswelle rollt weiter

Die Betroffenen werden als politische Geiseln des türkischen Regimes gehalten. Nahezu täglich finden weitere Festnahmewellen statt, bis zu den Kommunalwahlen am 31. März wird die Repression wohl eher noch zunehmen. Sollte es der HDP auch unter diesen Umständen gelingen, Wahlsiege bei den Kommunalwahlen einzufahren, hatte Erdoğan bereits angekündigt, was geschehen wird: Die rechtmäßig gewählten Ko-Bürgermeister*innen werden dann erneut abgesetzt und durch Treuhänder der Regierung ersetzt.