Von HADEP zur HDP – 20 Jahre Kommunalverwaltung
Am 31. März finden in der Türkei Kommunalwahlen statt. Für die Kurden bedeuteten die Parlaments- und Kommunalwahlen vor zwanzig Jahren einen Wendepunkt.
Am 31. März finden in der Türkei Kommunalwahlen statt. Für die Kurden bedeuteten die Parlaments- und Kommunalwahlen vor zwanzig Jahren einen Wendepunkt.
Für die Kurden bedeuteten die Parlaments- und Kommunalwahlen am 18. April 1999 einen Wendepunkt. Zwar gab es vor 1980 bereits vereinzelte Erfahrungen in der Kommunalverwaltung, aber vor zwanzig Jahren gewann die inzwischen verbotene HADEP die Wahlen in 37 Orten. Die Anzahl der kurdischen Kommunalverwaltungen hat seitdem ständig zugenommen. 2004 waren es 56, 2009 bereits 99 und 2014 102.
Die Wahlen im April 1999 fanden nur zwei Monate nach der Verschleppung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan aus Kenia in die Türkei statt. Die antikurdische Repression war intensiv. HADEP-Mitglieder wurden verhaftet, kurdische Städte wurden belagert, selbst Newroz und jede legale Aktivität oder Veranstaltung wurde verboten. In dieser Zeit wurden über 3000 HADEP-Mitglieder festgenommen, ein bedeutender Teil des Parteivorstands wurde verhaftet.
Unter diesen Voraussetzungen startete die HADEP am 4. April 1999 mit einer Auftaktkundgebung in Mersin in den Wahlkampf, der mit den inhaftierten Vorstandsmitgliedern im Gefängnis Güdül abgestimmt wurde. Die Wahlkampftour in zehn Tagen durch 15 Städte wurde von Festnahmen, Verhaftungen und weiteren Hindernissen begleitet. Zur Wahl traten 21 Parteien an, DSP, ANAP und MHP bildeten die Regierungskoalition.
Die HADEP scheiterte bei den Parlamentswahlen trotz anderthalb Millionen Stimmen an der Wahlhürde. Die errungenen 34 Mandate wurden auf die anderen Parteien aufgeteilt. Bei den Kommunalwahlen gewann die HADEP in 34 Orten, darunter die Großstadtverwaltung von Amed (Diyarbakir) und die Provinzzentren von Agirî (Ağrı), Êlih (Batman), Çewlîg (Bingöl), Colemêrg (Hakkari) und Sêrt (Siirt). Erstmalig wurden in Kurdistan Frauen als Bürgermeisterinnen gewählt.
In der Bevölkerung herrschte Enthusiasmus, als die Kommunalverwaltungen übernommen wurden. Die gewählten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister mussten jedoch feststellen, dass ihnen ein Trümmerhaufen hinterlassen worden war.
In einigen Provinz- und Kommunalverwaltungen waren von den Vorgängern im Wahlkampf Hunderte neue Stellen vergeben worden, für deren Gehalt kein Geld da war. Die Verwaltungen waren überschuldet und es gab keine Finanzquellen, um kommunale Dienstleistungen fortzusetzen. Aufgrund hoher Zinsen wuchs der Schuldenberg mit jedem Monat weiter an. Neben finanziellen Mitteln fehlte es auch an personellen Ressourcen.
In vielen Orten bekamen die neu gewählten Stadträte ideelle und materielle Unterstützung aus der Bevölkerung. In Colemêrg wurde Stadtreinigung mit eigenen Mitteln von den Anwohnern bewerkstelligt. Der Stadtverwaltung von Nisêbîn (Nusaybin) wurden innerhalb eines Jahres 100.000 Säcke Zement gespendet. Innerhalb von zwei Jahren fanden große Entwicklungen in den HADEP-regierten Orten statt. Schulden wurden getilgt, ausstehende Löhne an die Beschäftigten ausgezahlt. In vielen Kreisstädten und Gemeinden wurden erstmalig Straßen asphaltiert. Die kommunale Arbeit wurde am jeweiligen Bedarf ausgerichtet. In Amed wurden zahlreiche Parks angelegt, das Gelände um die historische Stadtmauer wurde gesäubert und in Grünanlagen umgewandelt. Es fanden erste Ansätze für eine ganz neue Stadt statt.
Die HADEP-Verwaltungen begnügten sich nicht mit klassischen Aufgaben. An mehreren Orten wurden städtische Gesundheitszentren und Frauenzentren eingerichtet. Es fanden große kulturelle Veranstaltungen statt, in Amed wurde ein Stadttheater eröffnet, in dem kurdische und türkische Stücke gespielt wurden.
Trotz positiver Entwicklungen ebbte die anfängliche Begeisterung ab. „Regieren wir uns und unsere Städte selbst“ hatte der Wahlkampfslogan der HADEP gelautet, aber die Einbindung der Bevölkerung in die kommunalen Entscheidungsmechanismen gelang nicht. „Die größten Fehler der Kommunalverwaltungen in den vergangenen zwanzig Jahren waren die fehlende selbstkritische Haltung der Bevölkerung gegenüber und die mangelnde Einbindung der Menschen in die Entscheidungsprozesse über offene Versammlungen, Aktivitäten und Veranstaltungen hinaus. Es gelang nicht, eine direkte Demokratie zu praktizieren“, stellt der kurdische Journalist Aydin Bolkan rückblickend fest. Das vorgesehene Räteprinzip von der Stadtteil- bis zur Provinzebene wurde nicht funktionsfähig, Amtsinhaber gefielen sich in Machtpositionen, die Stellenvergabe innerhalb der Verwaltungen wurde zunehmend zu einem Problem. Zivilgesellschaftliche Einrichtungen forderten personelle Unterstützung von den Kommunalverwaltungen, anstatt sich eigene Strukturen aufzubauen. Zu diesen Problemen kamen die Unerfahrenheit und die staatliche Repression.
Trotzdem haben in den vergangenen zwanzig Jahren gewaltige Entwicklungen in der kurdischen Kommunalpolitik stattgefunden. 2009 wurde für alle politischen Gremien eine Geschlechterquote von vierzig Prozent eingeführt, seit 2014 gilt das Prinzip des paritätisch besetzen Ko-Vorsitzes auch für die Bürgermeisterämter. Mit den direkt nach den Kommunalwahlen 2009 eingeleiteten „KCK-Operationen“ wurde jedoch ein politischer Vernichtungsfeldzug eingeleitet, in dessen Verlauf über 10.000 Kurdinnen und Kurden verhaftet wurden.
Im Herbst 2016 wurden in 95 von 102 kurdischen Kommunalverwaltungen aus Ankara ernannte Treuhänder eingesetzt. 93 Bürgermeister*innen – davon 34 Frauen – wurden verhaftet, 68 von ihnen sind immer noch im Gefängnis. Auch Hunderte Ratsmitglieder und kommunale Angestellte landeten in Haft, über 2000 Angestellte wurden per Notstandsdekret entlassen. Eine der ersten Amtshandlungen der ausschließlich männlichen Zwangsverwalter war die Schließung der seit 1999 aufgebauten kommunalen Fraueneinrichtungen.
Im Vorfeld der diesjährigen Kommunalwahlen hat Staatspräsident Erdoğan bereits angekündigt, unliebsame Wahlsieger in den kurdischen Provinzen erneut durch Treuhänder zu ersetzen. Innenminister Süleyman Soylu forderte die Demokratische Partei der Völker (HDP) sogar auf, mit ihren sechs Millionen Wählern das Land zu verlassen, weil es in der Türkei kein Kurdistan gebe.
Die HDP hält trotzdem weiter fest an ihrem demokratischen Kampf in einem Land, das längst zu einer Diktatur geworden ist. „Wir werden den Kampf für unser Modell einer demokratischen, ökologischen und geschlechterbefreiten Kommunalverwaltung entschlossen fortsetzen“, heißt es in einer kürzlich veröffentlichten Erklärung.