Die Generalstaatsanwaltschaft in Şirnex (türk. Şırnak) hat ein Ermittlungsverfahren gegen den kurdischen Journalisten Gökhan Altay eingeleitet. Dem Korrespondenten der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) wird im Zusammenhang mit Beiträgen in den sozialen Medien „Terrorpropaganda“ vorgeworfen.
Unter anderem geht es in dem Verfahren um Altays Äußerungen zum Kampf der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ gegen den sogenannten IS im nordsyrischen Kobanê. Zudem wird versucht, seine Kritik an der martialischen Berichterstattung regierungstreuer türkischer Medien während den Ausgangssperren in kurdischen Städten zu kriminalisieren. Große Blätter hatten zur Zeit der Militärbelagerung in Cizîr (Cizre), einem Landkreis von Şirnex, „Cizre ist erledigt“ getitelt. In Cizîr haben Ende 2015 allein 288 Menschen ihr Leben in den berüchtigten „Todeskellern“ verloren. Das Ausgangsverbot endete im darauffolgenden Februar mit der kompletten Vernichtung von vier Stadtteilen. Knapp 3000 Gebäude wurden zerstört oder beschädigt.
Wortgleich berichteten türkische Medien bereits im Sommer 1992, nach dem Massaker von Şirnex. Am 18. August fiel die türkische Armee unter dem Vorwand, die Guerilla habe das Zentrum „überfallen“, in Şirnex ein. Drei Tage lang wurde die Stadt unter Beschuss gesetzt, fast 70 Prozent der Region mit schweren Waffen vernichtet. Am Ende zählte man etwa 150 tote Zivilisten in Şirnex. Die Regierung nannte 47 Tote, bei denen es sich um Mitglieder der ARGK, aus denen später die HPG hervorgingen, gehandelt habe. Überlebende gaben jedoch an, dass sich an jenem Tag keine Kämpfer*innen in Şirnex aufhielten. Das Militär war am frühen Abend mit etlichen Panzerwagen vorgefahren und fing direkt an, die Stadt dem Erdboden gleichzumachen.
„Der Faschismus hält an, nur die Faschisten ändern sich“, schrieb Gökhan Altay nach der Zerstörung von Cizîr. Deshalb musste er sich am Freitag vor Gericht äußern. Der Journalist gab bei der Befragung an, sein Kommentar bei Twitter sei eine Reaktion darauf gewesen, dass die zivilen Opfer im Zuge der Militärbelagerung von der türkischen Presse vollständig ausgeblendet wurden. Altays Anwalt Resul Tamur unterstrich, dass die Beiträge seines Mandanten juristisch nicht zu beanstanden seien und im Rahmen der Pressefreiheit bewertet werden sollten. Ob Anklage gegen Altay erhoben wird, ist noch unklar.
Türkei – größtes Gefängnis für Journalisten
Die Türkei gehört weltweit zu den repressivsten Staaten gegenüber Medienschaffenden. Der in der nordkurdischen Metropole Amed (türk. Diyarbakir) ansässige Journalistenverein Tigris-Euphrat (Dicle Fırat Gazeteciler Derneği, kurz: DFG) weist in seinem monatlichen Bericht zum Zustand der Pressefreiheit in der Türkei darauf hin, dass sich aktuell 95 Medienschaffende in türkischen Gefängnissen befinden.