217 Medienschaffende in türkischen Gefängnissen

Wie die Plattform „Solidarität mit den gefangenen Journalisten“ (Tutuklu Gazetecilerle Dayanışma Platformu, TGDP) berichtet, befanden sich im September 217 Pressemitarbeiter*innen im Gefängnis.

Die Zeitung Karınca hat eine Bilanz der Rechtsverletzungen im Medienbereich in der Türkei veröffentlicht. Bereits seit Jahren arbeitet die regierende AKP an der Gleichschaltung der Medien, insbesondere seit den Gezi-Protesten im Jahr 2013. Seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 hat der Autokrat Erdoğan die Repression auf kritische Medienschaffende noch einmal massiv verstärkt. Mit der Eröffnung des neuen Justizjahres nach der Sommerpause setzte sich der Druck auf die Presse und Journalist*innen auch im September fort. In fast jeder Großstadt finden Prozesse statt. Wie die Plattform „Solidarität mit den gefangenen Journalisten“ (Tutuklu Gazetecilerle Dayanışma Platformu, TGDP) berichtet, befanden sich im September 217 Pressemitarbeiter*innen im Gefängnis. Außerdem zeigt sich die Wirtschaftskrise in der Türkei inzwischen auch in der Printbranche. Weil das Papier teuer aus dem Ausland importiert werden muss, werden Zeitungen und Zeitschriften immer kleiner und teurer.

2. September: In Izmir stellen neun Regionalzeitungen (9 Eylül, Ege Telgraf, Haber Ekspres, Yenigün, İlk Ses, Yeni Bakış und Ticaret) aufgrund der gestiegenen Preise für Papier und den Rohstoff Zellulose ihre Sonntagsausgabe ein.

5. September: In Istanbul führt die Polizei nächtliche Razzien bei Mitarbeiter*innen der Tageszeitung Yeni Demokrasi Gazetesi durch.

Wegen eines im Jahre 2011 eröffneten Verfahrens aufgrund einer Rede an der DBP-Bildungsakademie lässt die Türkei den Verleger und Menschenrechtler Ragıp Zarakolu mit einer „Red Notice“ über Interpol suchen.

Der Prozess gegen Ali Ünal, Kolumnist der per Notstandsdekret geschlossenen Zeitung Zaman, wird auf den 14. November vertagt. Die Staatsanwaltschaft fordert erschwerte, lebenslange Haft.

6. September: Die seit 14 Jahren in Aydın an der Ägäis-Küste erscheinende Regionalzeitung Özgür Ses Gazetesi stellt aufgrund des Preisanstiegs in der Printbranche ihre Tagesausgabe ein. Ab sofort erscheint das Blatt nur noch wöchentlich.

Fatih Polat, Chefredakteur der Tageszeitung Evrensel, wird zu 10.000 TL Geldstrafe verurteilt.

Im Verfahren gegen die Journalistin Nazlı Ilıcak fordert die Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs der „Spionage“ lebenslange Haft.

In Ankara wird der Prozess gegen insgesamt zwölf Journalist*innen eröffnet, denen aufgrund von Beiträgen in den sozialen Medien zum türkischen Angriffskrieg gegen den nordsyrischen Kanton Efrîn „Terrorpropaganda“ vorgeworfen wird. Barış Ceyhan, angeklagter Mitarbeiter der per Notstandsdekret geschlossenen Tageszeitung Özgürlükçü Demokrasi, wird nach neun Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen.

Die Journalistin und Kolumnistin der linken Nachrichtenplattform Sendika.org, Hamide Yiğit, wird wegen ihrem Buch „Tekmili Birden IŞİD“ zu einer Geldstrafe von 3.000 TL verurteilt. In dem Werk schildert die Autorin die Beziehungen zwischen der türkischen Regierung und dem sogenannten Islamischen Staat (IS). Die Anklage gegen sie stützt sich auf den umstrittenen Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches, der die „Beleidigung der türkischen Nation, des Staates der türkischen Republik und der Institutionen und Organe des Staates” regelt.

7. September: Der 12. Verhandlungstag im sogenannten KCK-Verfahren gegen kurdische Journalist*innen wird vertagt.

8. September: Auf Druck von Präsident Erdoğan kommt es bei der Zeitung „Cumhuriyet“ zu einem Machtwechsel. Die Zeitung befindet sich im Besitz einer Stiftung, deren elfköpfiger Vorstand ausgetauscht wurde. Chefredakteur Faruk Eren und stellvertretender Chefredakteur Bülent Özdoğan müssen ihre Posten räumen.

10. September: In Istanbul beginnt der Prozess gegen die Redakteurinnen der Nachrichtenagentur ETHA, Semiha Şahin und Pınar Gayıp. Beide Journalistinnen bleiben in Untersuchungshaft.

Salih Erbekler, Mitarbeiter des per Dekret verbotenen Radiosenders Karacadağ, wird nach 23 Monaten ohne Anklageschrift im Gefängnis aus der Untersuchungshaft entlassen.

Aufgrund eines Festnahmegesuchs wegen eines Berichts über die Istanbuler Bezirksverwaltung Beşiktaş wird Barış Terkoğlu, Redakteur der Online-Nachrichtenplattform Odatv, in Gewahrsam genommen.

11. September: Der österreichische Journalist und Aktivist Max Zirngast, Mitautor des Buches „Kampf um Kobanê“, wird wegen „Terrorvorwürfen“ in Ankara festgenommen.

12. September: Das Verfahren gegen 14 Mitarbeiter*innen der per Dekret geschlossenen Tageszeitung Özgürlükçü Demokrasi Gazetesi beginnt. Von den sechs Mitarbeiter*innen, die sich in Untersuchungshaft befinden, wird lediglich Pınar Tarlak auf freien Fuß gesetzt.

Im Prozess gegen Seda Taşkın, Korrespondentin der Nachrichtenagentur Mezopotamya Ajansı (MA), entscheidet das Gericht die Fortsetzung der Untersuchungshaft.

13. September: Im Prozess gegen sechs Medienschaffende, die wegen ihrer Berichterstattung über die durch RedHack geleakten Korrespondenzen des damaligen Energieministers Berat Albayrak (seit Juli 2018 Finanzminister) angeklagt sind, ordnet das Gericht die persönliche Erscheinung von Ömer Çelik und Metin Yoksu an. In den gehackten E-Mails geht es um türkische Verbindungen zum IS und die Kontrolle der Medien.

Wegen „Präsidentenbeleidigung“ werden der ehemalige Chefredakteur der Zeitung Evrensel, Vural Nasuhbeyoğlu, sowie der ehemalige Zeitungseigner Arif Koşar, zu einer Geldstrafe von jeweils 7.000 TL verurteilt.

Gegen Fatih Portakal, Nachrichtenmoderator des Senders Fox TV, werden aufgrund von Beiträgen in den sozialen Medien zu dem Theaterstück „Sadece Diktatör“ (Einfach nur Diktator) des Schauspielers und HDP-Abgeordneten Barış Atay Ermittlungen wegen „Präsidentenbeleidigung“ eingeleitet.

Die Anklage gegen Uğur Yılmaz, Mitarbeiter der Pressestelle der Stadtverwaltung von Bedlîs (Bitlis), wird bestätigt. Die erste Verhandlung findet am 16. Oktober statt. Yılmaz befindet sich seit Juli 2017 in Untersuchungshaft.

14. September: Die Zeitung Dünya Gazetesi, einzige Wirtschaftszeitung in der Türkei, entlässt aufgrund des Anstiegs der Papierpreise insgesamt 40 Mitarbeiter*innen, darunter auch die beiden stellvertretenden Chefredakteure İbrahim Ekinci und Talip Aktaş.

15. September: Der AFP-Fotograf Bülent Kılıç wird während seiner journalistischen Tätigkeit bei einem Solidaritätsprotest für die Bauarbeiter des 3. Flughafens im Istanbuler Stadtteil Kadıköy festgenommen.

Der neue Vorstand der Cumhuriyet entscheidet, die Samstagsbeilage der Zeitung einzustellen.

17. September: Die Zeitung Vatan des regierungsnahen Demirören-Konzerns stellt wegen des Preisanstiegs in der Papierbranche die Samstagsbeilagen ein. Die Makaron-Beilage wird auf vier Seiten reduziert.

18. September: Der zu 93 Prozent schwerbehinderte Journalist Metin Duran wird nach sechs Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen.

Der Prozess gegen 21 Mitarbeiter der Druckerei Gün, die im März 2018 unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt wurde, beginnt in Silivri. Acht Mitarbeiter werden aus der Untersuchungshaft entlassen, 13 weitere bleiben im Gefängnis.

Das Verfahren nach Artikel 301 gegen den Investigativjournalisten Ahmet Şık wird aufgrund seiner Wahl zum Abgeordneten der HDP eingestellt.

19. September: Fahrettin Kılıç, Mitarbeiter des Magazins Özgür Toplum Dergisi, wird nach dem dritten Verhandlungstag im Prozess wegen „Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation“ aus dem Gefängnis entlassen.

Mustafa Kara, İsmail Gökhan Bayram und Gökhan Çetin, Vorstandsmitglieder des per Dekrets geschlossenen Fernsehsenders Hayatın Sesi TV, werden zu Haftstrafen von insgesamt elf Jahren und drei Monaten verurteilt.

21. September: Nach zehn Tagen Untersuchungshaft ergeht wegen des Verdachts der „Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation“ Haftbefehl gegen den österreichischen Journalisten Max Zirngast.

In der Steinkohle exportierenden Hafenstadt Zonguldak werden mehrere Medienschaffende tätlich angegriffen, die nach einem Grubenunglück zwecks Berichterstattung in die Stadt reisten. Der IHA-Korrespondent Barış Doğan wird bei dem Angriff verletzt.

22. September: Gegen Alican Uludağ, einem Korrespondenten der Zeitung Cumhuriyet, werden Ermittlungen wegen des Vorwurfs der „Beleidigung der türkischen Nation, des Staates der türkischen Republik und der Institutionen und Organe des Staates“ eingeleitet. Der Journalist hatte einen kritischen Artikel zur Situation des US-amerikanischen Pastors Andrew Brunson verfasst, der seit dem 7. Oktober 2016 in türkischer Haft war und am 23. Juli 2018 in den Hausarrest entlassen wurde.

24. September: Am 20. September wählte der Bürger Ismail Devrim in der Stadt Kocaeli den Freitod. Nach Angaben seiner Frau konnte er nicht überwinden, sich aufgrund seiner finanziellen Situation die Schuluniform seines Sohnes nicht leisten zu können. Vier Tage später wird Ergün Demir, Chefredakteur der Zeitung Astakos Haber, aufgrund seiner Berichterstattung zu dem Suizid Demirs festgenommen.

26. September: Der Journalist Sertaç Kayar wird freigesprochen. Kayar hatte am 8. März in der nordkurdischen Metropole Amed den Internationalen Frauentag begleitet und Fotos von kurdischen Politikerinnen beim Verteilen von Nelken geschossen. Auf den Aufnahmen waren auch uniformierte Sicherheitskräfte abgebildet. In dem Verfahren wurde ihm vorgeworfen, „Staatsbedienstete zur öffentlichen Zielscheibe“ gemacht zu haben.

In der Schwarzmeer-Provinz Rize wird der Journalist Deniz Varlı zwecks Vernehmung zur Polizei vorgeladen, weil er in den sozialen Medien Aufnahmen der Fällung  eines 100-jährigen Ahorns verbreitete.  

28. September: Nach zweijähriger Untersuchungshaft wird der Journalist Abdulkadir Turay wegen „Unterstützung und Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation“ zu neun Jahren Haft verurteilt.