Wan: Hunderte Schutzsuchende auf „Friedhof der Namenlosen“

Auf dem „Friedhof der Namenlosen“ in Wan, einer Provinz an der Grenze zum Iran, liegen hunderte Migranten begraben. Beschreibungen wie afghanisches Baby, pakistanischer Jugendlicher, syrischer Staatsbürger und viele andere finden sich auf den Grabsteinen.

Hunderte Gräber von Menschen, die an der türkischen Grenze zwischen Nord- und Ostkurdistan gestorben sind, reihen sich in Wan (Van) auf dem „Friedhof der Namenlosen“ aneinander. Die Namen vieler Menschen an diesem Ort, die große Entfernungen auf sich nahmen, um in Sicherheit zu leben, die verschiedensten Länder durchquerten, bleiben unbekannt. Die Ruhestätte, die sich offiziell „Friedhof für Menschen ohne Angehörige“ nennt, ist zu einem Friedhof für Flüchtlinge und Migrant*innen geworden. Immer wieder werden neue Leichen hierhergebracht. Zwischen den besetzten Gräbern warten bereits ausgehobene Gruben auf die nächsten Toten. Von den vielen hundert Gräbern tragen vielleicht nur fünf einen Namen. Zu viele sind mit Beschreibungen, wie „afghanisches Baby“ oder „Iranerin“ beschriftet. Auf manchen steht nur „aus der Gerichtsmedizin.“ Da die Namen der beim Grenzübertritt gestorbenen Flüchtlinge häufig nicht bekannt sind, wissen auch die Angehörigen nichts von ihrem Verbleib.

„Ein unbeschreibliches Drama“

Işıl Erçoban ist Koordinatorin des Solidaritätsvereins für Flüchtlinge (Mülteci-Der). Sie erklärt: „Diese Friedhöfe führen uns ein menschliches Drama vor Augen. Es gibt keine Worte, dies zu beschrieben. Es gibt hier hunderte Gräber ohne Namen, um die sich niemand kümmert. Und es werden immer mehr. Es ist schon soweit gekommen, dass die Familien der Flüchtlinge damit zufrieden sind, wenn bekannt ist, wo ihre Angehörigen liegen. Denn dann haben sie die Gewissheit, dass ihre Lieben nicht von Fischen im Meer oder wilden Tieren im Grenzgebiet gefressen werden oder irgendwo im Freien verwesen. Das ist eine menschliche Tragödie, es fehlen einem die Worte.“

„Verwandte werden nicht informiert“

Erçoban erinnert daran, dass jedes Jahr überall im Land, an den Grenzen, im Meer und im Inland Migrant*innen sterben. „Diese Menschen werden begraben, noch bevor überhaupt ihre Identitäten bekannt sind. Nicht einmal ihre Verwandten werden informiert. Die entscheidende Frage, die hier gestellt werden muss, ist doch, was die Menschen dazu bringt, dieses Risiko auf sich zu nehmen, warum Menschen zur schlimmsten Zeit des Winters über die Berge aufbrechen oder bei Sturm über das Meer zu fahren versuchen. Welche Bedingungen zwingen sie dazu? Es geht hier um kein Abenteuer, sondern darum, dass diese Migrant*innen ein der Menschenwürde entsprechendes Leben suchen. Sie brechen auf, weil sie dieses Leben in den Ländern, aus denen sie kommen, nicht finden können. Sie brechen wegen der Menschenrechtsverletzungen, der Unterdrückung, des Hungers und der Armut auf. Dies sind vollkommen legitime Gründe für einen Menschen, sein Land zu verlassen. Aber die Menschen, die mit dieser Hoffnung aufbrechen, treffen auf dem Weg auf viele Hindernisse. Die Kälte, Unwetter, die Grenzen, Menschenhändler und Erpresser. All diese Risiken werden in Kauf genommen.“

„Es muss sichere Zugangswege geben“

Diese Menschen, die mit ihrer Würde aufbrechen, werden an den Grenzen jedoch nicht mit offenen Armen empfangen, fährt Erçoban fort. Ihr Weg über die Grenze werde immer schwieriger, sagt die Aktivistin. Außerdem werde alles dafür getan, die Schutzsuchenden wieder zurückzuschieben. „Die Menschen müssen diesen gefährlichen Weg aber wählen, weil es keinen sicheren, legalen Zugangsweg gibt. Der Preis, den sie an Schlepper zahlen, wäre mehr als ausreichend, um einen Flug zu bezahlen. Wäre es in Afghanistan möglich, einfach in ein Flugzeug zu steigen, würde sich niemand auf diese gefährlichen Wege begeben. Die Menschen brauchen sichere, legale Zugangswege. Solange dies nicht geschieht, werden sie weiter sterben. Die Migrationspolitik der westlichen Staaten beruht darauf, die Grenzen dicht zu machen. So treiben sie die Menschen auf immer gefährlichere Wege. Es werden noch viele weitere Gräber für Unbekannte ausgehoben werden müssen.

„Sie haben sogar Angst davor, um Hilfe zu bitten“

Es ist eine Straftat, an der Grenze aufgegriffene Menschen, ohne die Gründe ihrer Flucht zu kennen, zurückzuweisen. Dies widerspricht internationalen Recht. Nun finden Sammelabschiebungen und Sammelzurückweisungen statt. Statt die Situation anhand des Einzelfalls zu bewerten, werden Sammelentscheidungen getroffen und die Menschen werden zurückgewiesen. Diese gesammelten Abschiebungen und Zurückweisungen sind ebenso rechtswidrig. Dass die Menschen sich aus Angst vor Zurückweisung nicht an Grenzsoldaten um Hilfe wenden können, stellt ebenfalls eine erhebliche Rechtsverletzung dar. Die Menschenrechte werden vollkommen mit Füßen getreten. Aus welchem Grund es auch immer sein mag, wenn Menschen sich davor fürchten, um Hilfe zu bitten, und dafür den Tod in Kauf nehmen, dann ist dies eine absolut inakzeptable Lage.“