Todeszone Iran: 36 Hinrichtungen an einem Tag

Im Windschatten der Eskalation in Nahost hat das iranische Regime an einem einzigen Tag drei Dutzend Hinrichtungen vollstreckt. Menschenrechtsorganisationen fordern ein sofortiges Eingreifen der internationalen Gemeinschaft.

Neue Eskalation der Tötungsmaschinerie

In Iran wurden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHRNGO) in 24 Stunden mindestens 36 Personen hingerichtet. 29 von ihnen wurden der Organisation mit Sitz in Norwegen zufolge am Mittwoch in zwei Gefängnissen in der westlich von Teheran gelegenen Großstadt Karadsch exekutiert. Die Männer seien zuvor wegen Mordes, Drogendelikten und Vergewaltigung verurteilt worden. Unter ihnen seien auch zwei Afghanen und ein Belutsche gewesen, wie IHRNGO mitteilte. Die in Frankreich ansässige Menschenrechtsgruppe Kurdistan Human Rights Network (KRHN) teilte ergänzend mit, dass ebenfalls vier Kurden in Karadsch staatlich ermordet wurden. Sie seien wegen Mordes an einem Regierungsbeamten und Drogendelikten zum Tode verurteilt worden.

Auch der 34-jährige Reza Rasaei, Teilnehmer der „Jin Jiyan Azadî“-Bewegung, ist vom Regime hingerichtet worden. Der Kurde, der aus der Stadt Sehne in Rojhilat stammte, wurde am Dienstag im Dizel-Abad-Gefängnis in der Provinz Kirmaşan am Strick getötet. Reza (Gholamreza) Rasaei gehörte der heterodoxen Gruppierung der kurdischen Yarsan an, die auch Ahl-e Haqq genannt werden. Im Herbst vor zwei Jahren beteiligte er sich in Sehneh an einer Gedenkfeier für ein geistliches Oberhaupt der Yarsan. Diese Zusammenkunft entwickelte sich zu einer Protestkundgebung, bei der unter anderem Gerechtigkeit für den neunjährigen Jungen Kian Pirfalak gefordert wurde, der wenige Tage zuvor durch Regimekräfte in Izeh im Zuge der „Jin Jiyan Azadî“-Proteste getötet wurde.

Dem Regime nach hätten Demonstranten bei den Protesten in Sehne einen Geheimdienstmitarbeiter der Revolutionsgarden durch Messerstiche getötet. Die Behörden gaben Reza Rasaei die Hauptschuld an dem Mord und nahmen ihn Ende November 2022 in Teheran fest. Die nächsten vier Monate fiel der Kurde dem Verschwindenlassen zum Opfer. Laut dem KHRN und Amnesty International wurde er während dieser Zeit bei Verhören in verschiedenen Hafteinrichtungen in Kirmaşan gefoltert und anderweitig misshandelt, um ein „Geständnis“ zu erzwingen, unter anderem durch Elektroschocks, das Erzeugen von Erstickungsängsten durch eine Plastiktüte über dem Kopf, das Aufhängen an den Gliedmaßen, Prügel und sexualisierte Gewalt. Dieses erpresste Geständnis wurde später vor Gericht als einziges „Beweismittel“ gegen Rasaei verwendet. Im Oktober 2023 wurde er wegen „Mordes“ schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Er hat wiederholt jegliche Beteiligung am Tod des Sicherheitsbeamten bestritten.

Reza Rasaei © KHRN

Mit Rasaei sind bislang mindestens zehn Personen im direkten Zusammenhang mit der Revolte „Jin Jiyan Azadî“, die sich am Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini durch die Hand der iranischen Sittenpolizei entzündete, hingerichtet worden. Diese staatlichen Tötungen reihen sich in eine Hinrichtungswelle ein, die Menschenrechtsorganisationen zufolge seit einem Jahr anhält. „Im Windschatten der aktuell angespannten Lage im Nahen Osten zeigt sich die iranische Regierung von ihrer brutalsten Seite“, sagte der stellvertretende AI-Generalsekretär Christian Mihr. Während sich die internationale Gemeinschaft darauf konzentriere, eine militärische Eskalation zwischen Iran und Israel zu verhindern, werde innenpolitisch mit aller Härte vorgegangen. „Menschen wie Reza Rasaei, die aufgrund von unter Folter erzwungenen Geständnissen in grob unfairen Scheinprozessen verurteilt wurden, lässt die Regierung im Geheimen hinrichten.“

345 Hinrichtungen in diesem Jahr

Laut Amnesty wurden im vergangenen Jahr 853 Menschen in Iran hingerichtet, so viele wie seit 2015 nicht mehr. Mindestens 345 Menschen wurden in diesem Jahr exekutiert. Die Organisation ruft dazu auf, „über der berechtigten Sorge um eine militärische Eskalation, die Lage der Gefangenen im Iran nicht zu vergessen.“ Die internationale Gemeinschaft und die Bundesregierung müssten größtmöglichen Druck ausüben, damit nicht noch mehr Menschen hingerichtet werden. Auch IHRNGO fordert Maßnahmen. „Ohne das sofortige Eingreifen der internationalen Gemeinschaft könnten in den kommenden Monaten Hunderte Menschen Opfer der Tötungsmaschinerie der Islamischen Republik werden“, sagte Direktor Mahmud Amiri-Moghaddam. Eine vergleichbare Gruppenhinrichtung habe es in Iran zuletzt 2009 gegeben.

Titelfoto: Jin-Jiyan-Azadî-Demonstration in Stockholm, 2022 © Shnoyi Mendan