Seit dem 31. Oktober halten Aktivistinnen und Aktivisten das Juch-Areal in Zürich-Altstetten besetzt. Auf dem derzeit ungenutzten Areal wollen sie gegen das Verschwinden von Freiräumen eine Begegnungszone für alle schaffen. Außerdem richtet sich die Aktion gegen ein neues Bundesasylzentrum im Westen von Zürich, wo Asylverfahren beschleunigt abgewickelt werden.
Für solche Verfahren betrieb die Asylorganisation Zürich (AOZ) in der ehemaligen Gastarbeiterunterkunft in Altstetten seit 2014 und noch bis September im Auftrag des Bundes eine Testunterkunft. Die neue Flüchtlingsunterkunft mit 150 Asylsuchenden wurde bereits eröffnet. Sie soll das Flüchtlingswesen „effizienter” gestalten. Die Juch-Besetzer*innen sprechen von einem „diskriminierenden Asylregime”. Im Frühjahr hatten sie bereits aus Protest dagegen für ein Wochenende den gegenüberliegenden Pfingsweidpark besetzt.
Die AOZ tolerierte die Besetzung des Geländes bisher. Die FDP der Stadt Zürich forderte den Stadtrat auf, das Areal unverzüglich zu räumen. Man habe keinerlei Verständnis dafür, dass dies nicht bereits getan wurde, schrieb die Partei einen Tag nach der Besetzung in einer Mitteillung.
In einer Stellungnahme kündigen die Besetzer*innen an, auf dem Juch-Areal zu bleiben. „Wir, und alle, die diese Räume in den letzten Wochen betraten, haben gesehen, was das hier war und nie mehr sein darf: ein Gefängnis”, heißt es in der Erklärung. Weiter teilen sie mit: „ Was uns allen klar ist: Kein Mensch, der diese Räume gesehen hat, kann zulassen, dass sie wieder für das Verwalten und Einsperren von Menschen gebraucht werden. Dass im Juch wieder geflüchtete, traumatisierte Menschen zusammengepfercht und überwacht werden sollen, ist unmenschlich.
Die Schweizerische Volkspartei (SVP) sagt zu dieser Besetzung an der Gemeinderatssitzung vom 6. November 2019: ‚Offenbar genießen einige Personen mehr Privilegien und sind vor dem Gesetz nicht gleich, nach dem Motto: für wenige statt für alle.’ Wir sagen: genau das wird gelebt, indem toleriert wird, dass Menschen kategorisiert, eingesperrt und verwaltet werden. Dieser Staat ist bis jetzt für wenige statt für alle - die Lager, in denen Geflüchtete eingesperrt werden, sind ein klarer Beweis dafür. Das Problem ist nicht, dass die Repression gegen ein paar Leute, die sich Raum aneignen, nicht groß genug ist. Das Problem ist, dass dieses System einigen Rechte zuspricht, welche es anderen verwehrt. Die Unterscheidung baut einzig und allein darauf, wo die Personen geboren wurden.
Ein ehemaliger Bewohner erzählt folgendes:
‚Als ich in der Schweiz Asyl beantragt hatte, steckten sie mich in ein Camp. Wir nennen es Juchhof. Dann entdeckte ich, es war kein Camp, sondern ein Gefängnis, getarnt als Camp. Die Regeln waren die selben wie in einem Gefängnis. Wir waren Gefangene und keine Geflüchteten. Ich kann euch einige der Regeln erzählen: Wir konnten nicht raus nach 5 Uhr abends, wir hatten keine Küche, in welcher wir für uns selbst kochen konnten. Sie fütterten uns wie Tiere und das Essen war ungeniessbar. Wir lebten zu zweit in vier Quadratmeter großen Räumen und sie verkauften uns alles, was wir brauchten. Ich erinnere mich, dass ich einmal ein Kleidungsstück reparieren wollte. Sie hatten eine Nähmaschine und vermieteten sie mir für einen Franken für fünf Minuten. Das Sicherheitssystem war sehr streng. Es gab viele Securitys und Kameras. Die Polizei kam mindestens drei Mal am Tag. Alle persönlichen Probleme und solche mit den Menschen, welche den Ort führten, und die tägliche Bedrohung durch die Polizei waren schrecklich für mich. Ich werde niemals jemandem raten, in ein Camp zu gehen.’
Dieser Ort kann und will dem etwas entgegenhalten. Alle Veranstaltungen, die bis jetzt hier stattgefunden haben, waren darum auch eine Zeit der Nachdenklichkeit. Wir haben auf diesem Areal in zwei Wochen einen kollektiv verwalteten Raum geschaffen, haben uns getroffen, sind gewachsen, haben Austausch, Aufführungen, Ausstellungen und Konzerte organisiert - wir beleben diesen Raum selbstbestimmt. Wir sind hier, wir bleiben hier.
Wir werden uns weiter treffen, organisieren und den Raum zu dem machen, was er sein soll: solidarisch, offen für alle, frei von Kontrolle. Wir stellen uns gegen jedes Verwalten von Menschen, gegen alle Knäste, gegen jede Ungleichheit. Es wird viel brauchen, um aus diesem Gefängnis einen Ort der Begegnung zu machen - nur ein Umsturz der Raumverhältnisse, wer ihn kontrolliert und zu welchem Zweck - kann das überhaupt möglich machen. Wir fangen damit an, mit Vorsicht gegenüber dem, was war.”
Titelfoto: Dominique Meienberg