Sterben im Mittelmeer erreicht dramatischen Höhepunkt

In diesem Jahr sind so viele Menschen wie seit 2017 nicht mehr im Mittelmeer ertrunken. Von Januar bis März 2023 wurden 441 Todesfälle von Schutzsuchenden auf der Fahrt über das Mittelmeer gezählt.

In den ersten drei Monaten diesen Jahres sind nach Angaben der UN-Organisation IOM (Internationale Organisation für Migration) bereits 441 Migrant:innen bei der Überfahrt über das Mittelmeer gestorben. Hinzu kommt eine große Zahl von Vermissten, bei denen praktisch keine Überlebenshoffnung besteht. Seit 2017 war die Zahl nicht mehr so hoch. Laut IOM spielen bei der Steigerung der Zahl der Toten insbesondere Verzögerungen von staatlichen Rettungsmaßnahmen und die Behinderung von ziviler Rettung eine entscheidende Rolle. So gab am 25. März die libysche Küstenwache Schüsse in die Luft ab, als das zivile Rettungsschiff Ocean Viking auf eine Meldung über ein in Seenot geratenes Schlauchboot reagierte. Unabhängig davon wurde am 26. März ein weiteres Schiff, die Louise Michel, in Italien festgehalten, nachdem es 180 Menschen aus dem Meer gerettet hatte. Das gleiche geschah mit der Geo Barents, die im Februar festgesetzt wurde. Sie konnte anschließend wieder weiterfahren, bewusste Verzögerungen wie diese kosten jedoch Menschenleben.

Man kann sagen, die EU lässt sterben. Insbesondere die rechtsextreme italienische Regierung setzt auf die Sabotage der Seenotrettung. Laut IOM lässt sich beziffern, dass die Verzögerung von sechs staatlich geleiteten Rettungsaktionen zum Tod von 127 Menschen geführt habe. Die Insass:innen eines siebten Bootes wurden de facto dem Tod durch Ertrinken überlassen. Dabei starben 73 Menschen.

IOM-Chef: „Todesfälle haben sich normalisiert“

„Die anhaltende humanitäre Krise im zentralen Mittelmeer ist unerträglich“, sagte der Generaldirektor der IOM, António Vitorino: „Mit mehr als 20.000 Todesfällen auf dieser Route seit 2014 befürchte ich, dass sich diese Todesfälle normalisiert haben. Die Staaten müssen reagieren. Verzögerungen und Lücken in der staatlich geleiteten SAR kosten Menschenleben.“

Bünger: Notrufe werden ignoriert

Die fluchtpolitische Sprecherin der Linken, Clara Bünger, zeigt sich alarmiert: „Die Zahl der Toten im Mittelmeer erreicht ein seit Jahren nicht gesehenes Ausmaß: Allein von Januar bis März dieses Jahres sind 441 Menschen auf ihrer Flucht nach Europa ertrunken. Und das sind nur die bestätigten Fälle, noch viel mehr Personen gelten als vermisst. Dabei beobachten wir seit Wochen beinahe täglich, wie Menschen in Seenot um Hilfe bitten. Die zuständigen Stellen hören diese Hilfegesuche, reagieren aber verzögert oder ignorieren sie vollständig.“

Sterben ist politische Absicht“

Bünger klagt die europäischen Staaten an: „Dieses Sterben ist kein Zufall, sondern politische Absicht. Die europäischen Staaten entscheiden sich bewusst dazu, Menschen nicht zu retten, die heute noch am Leben sein könnten. Statt sich für eine europäische Lösung einzusetzen, ruft Italien unter einer faschistischen Regierung den Notstand aus. Die Bundesregierung darf hier nicht weiter tatenlos zuschauen. Weder die betroffenen Staaten noch die hilfesuchenden Menschen dürfen alleingelassen werden. Wir brauchen dringend eine staatliche Seenotrettung und sichere Fluchtwege, damit niemand mehr ertrinken muss. Die Bundesregierung darf sich nicht länger hinter einer ‚europäischen Lösung‘ verstecken. Stattdessen braucht es einen Gipfel der Solidarität, bei dem konkrete Maßnahmen, wie eine deutsche Seenotrettung zur Rettung von Menschen – auch im Mittelmeer – beschlossen werden. Dazu gehört auch, dass Verkehrsminister Wissing die geplante Verschärfung der Schiffssicherheitsverordnung zurücknimmt, die die zivile Seenotrettung massiv einschränken wird.

Unser Flüchtlingsrecht war die Antwort auf das barbarische Nazi-Regime, das Menschen systematisch getötet und verhindert hat, dass Menschen Schutz suchen. Wir dürfen nicht zulassen, dass es ein systematisches Sterbenlassen in der EU oder an ihren Außengrenzen gibt.“

Titelbild: Fabian Heinz / sea-eye.org