Septemberbilanz: 157 „Arbeitsmorde” in der Türkei

Die Türkei ist ein gefährlicher Arbeitsort. Allein im vergangenen Monat starben mindestens 157 Menschen bei Arbeitsunfällen. Seit Anfang des Jahres sind es mindestens 1450 Arbeiter*innen, die bei der Arbeit ums Leben gekommen sind.

Der gewerkschaftsnahe Verband für Arbeitsplatzsicherheit (İşçi Sağlığı ve İş Güvenliği, İSİG) hat im Monat September 157 tödliche Arbeitsunfälle in der Türkei gezählt. Mindestens 1450 waren es bisher in diesem Jahr insgesamt, wie aus einer aktuellen Bilanz hervorgeht. Mindestens 2006 Menschen kamen im Jahr 2017 bei Arbeitsunfällen in der Türkei ums Leben. Zum Vergleich: Laut der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) wurden im Jahr 2017 deutschlandweit 454 tödliche Arbeitsunfälle bei 42 Millionen Erwerbstätigen gegenüber offiziell 26 Millionen Erwerbstätigen in der Türkei registriert. Mittlerweile sind es 21.894 Menschen, die in der Türkei bei Arbeitsunfällen ums Leben gekommen sind, seit Präsident Erdoğan das Land regiert. Die vom türkischen Arbeitsministerium veröffentlichen Zahlen fallen allerdings deutlich niedriger aus.

Bei zehn der im September tödlich verunglückten 157 Arbeiter*innen handelt es sich um Frauen, weitere acht Getötete waren Kinder zwischen vier und 14 Jahren. Insgesamt neun getötete Arbeiter*innen waren Flüchtlinge oder Migranten aus Afghanistan (6), Iran (1), Russland (1) und Syrien (1). Die Stadt mit den häufigsten „Arbeitsmorden“ im vergangenen Monat ist Antep (Dîlok) an der Grenze zu Syrien. Dort ist es zu elf tödlichen Arbeitsunfällen gekommen. Nach offiziellen Angaben leben in der gleichnamigen Provinz fast 326.000 Flüchtlinge, die meisten aus Syrien. Mehr als die Hälfte von ihnen ist minderjährig. Insgesamt leben mehr als 3,5 Millionen syrische Kriegsvertriebene in der Türkei. Die meisten haben keine Aufenthaltsgenehmigung und somit auch keine Arbeitserlaubnis. Rund 80.000 Syrerinnen und Syrer verfügen zwar über eine Aufenthaltserlaubnis, aber nur 6.000 von ihnen haben auch eine Arbeitserlaubnis. Viele Flüchtlinge arbeiten deshalb illegal und werden nicht erfasst, daher gibt es kaum Zahlen zu Arbeitsunfällen, die für die Kriegsvertriebenen tödlich enden. Die Kinder vieler geflüchteter Familien arbeiten unter prekären Bedingungen, um ihre Familien zu unterstützen. In den Textilwerkstätten der Millionenstadt Antep, die traditionell von der Textilindustrie lebt, arbeiten meist fünf- bis zehnjährige Kinder für einen Tagelohn von 5 TL, umgerechnet etwa 71 Cent.

Von den tödlich verunglückten Arbeiter*innen in der Türkei sind zudem die wenigsten gewerkschaftlich organisiert. So waren es im September lediglich vier einem Arbeitsmord zum Opfer gefallener Menschen, die Mitglied einer Gewerkschaft waren.

Das Wort „Arbeitssicherheit“ wird offenbar gänzlich ignoriert. Mindestens jeder dritte Arbeitsplatz fällt in der Türkei durch. Die Häufigkeit, mit der es zu Arbeitsunfällen kommt, katapultiert das Land in Sachen Arbeitssicherheit im internationalen Vergleich auf einen der höheren Plätze – im negativen Sinne.