Samstagsmütter fordern Gerechtigkeit für Hasan Gülünay

Hasan Gülünay war 32 Jahre alt, als er am 20. Juli 1992 in Istanbul verschwand. Ein Zeuge sagte aus, dass er bei der politischen Polizei zu Tode gefoltert wurde. Bis heute schweigt der türkische Staat zum Verbleib des vierfachen Vaters.

Kampf für die Verschwundenen

Die Initiative der Samstagsmütter hat bei ihrer 1008. Mahnwache gegen das „Verschwindenlassen“ in staatlichem Gewahrsam vor dem Galatasaray-Gymnasium in Istanbul Aufklärung über das Schicksal von Hasan Gülünay gefordert. Es war der 20. Juli 1992, als der 32-jährige Kurde und Vater von vier Kindern seine Wohnung in Istanbul verließ, um zur Arbeit zu gehen. In seinem Büro kam er jedoch nie an. Die türkische Polizei fing den Sozialisten ab und nahm ihn in Gewahrsam.

Knapp zwei Monate zuvor war am 23. Mai 1992 der aus Sêwas (tr. Sivas) stammende Guerillakämpfer Ali Ekber Atmaca (TKP/ML) nach mehrwöchiger Folter in der Jandarma-Regimentskommandantur in der Schwarzmeerprovinz Artvin hingerichtet worden. Bei seinen persönlichen Gegenständen hatte man den Ausweis von Hasan Gülünay gefunden – beide lebten in derselben Nachbarschaft im Istanbuler Bezirk Tarabya. Vermutlich deshalb geriet Gülünay ins Visier der Polizei und wurde unter Beobachtung gestellt, mutmaßen seine Angehörigen. Denn bis heute schweigt der türkische Staat zum Verbleib des Mannes.

Den Fall von Hasan Gülünay schilderte die Aktivistin Ayşe Tepe, deren Bruder Ferhat Tepe, Reporter der Zeitung Özgür Gündem, im Sommer 1993 in Bedlîs von zivil gekleideten Männern mit Walkie-Talkies entführt und ermordet wurde


Als Suchmaßnahmen erfolglos blieben, wandte sich die Familie von Hasan Gülünay an die Istanbuler Polizei und Staatsanwaltschaft. Dort wurde ihnen mitgeteilt, dass der Vermisste zwar gesucht würde, sich allerdings nicht in Gewahrsam befinde. Am Arbeitsplatz des Vaters des Kurden ging damals ein anonymer Anruf ein, in dem es hieß: „Hasan Gülünay befindet sich in Untersuchungshaft“. Später erfuhr die Familie von einem hochrangigen Polizeiangehörigen, dass Gülünay tatsächlich in Haft sei, diese allerdings erst nach Verheilung seiner Verletzungen, die ihm im Zuge schwerer Folter hinzugefügt wurden, öffentlich gemacht werden würde. Passiert ist dergleichen aber nicht.

Bald darauf machte Erdal Şam bekannt, die Stimme seines Freundes Hasan Gülünay auf dem Revier Gayrettepe gehört zu haben. Die Istanbuler Polizeiwache war damals Synonym für schwere Menschenrechtsverletzungen und betrieb eine eigens für erklärte Feinde des Staates eingerichtete Folterkammer. Genau dort sei Gülünay misshandelt worden, als er selbst in Gayrettepe in Gewahrsam war, äußerte Şam damals gegenüber Medien. „Ich bin Hasan Gülünay. Man versucht, mich im Gewahrsam verschwinden zu lassen“, rief dieser nach den Schilderungen seines Bekannten.

Doch trotz monatelanger Suchaktionen, öffentlichen Kampagnen, Gesprächen mit dem damaligen Innenminister und Anfragen im türkischen Parlament blieb die Suche nach Hasan Gülünay erfolglos. Auch als ein Fotograf sich an die Familie wandte, weil er sich sicher war, den zwischen Müllsäcken abgelegten und mit Folterspuren übersäten Leichnam von Gülünay abgelichtet zu haben, tat sich in Sachen Aufklärung nichts. Lediglich das Studio des Fotografen wurde zerstört – vermutlich von der Polizei – und die vermutete Leiche von Hasan Gülünay verschwand. Offiziell hieß es, bei dem Toten habe es sich um einen in Ankara gemeldeten Bürger gehandelt, der von seinen Angehörigen identifiziert und bestattet worden sei.

Wegen Verjährung wurde der Fall Hasan Gülünay am 31. Oktober 2012 zu den Akten gelegt. Die Familie des Vermissten zog daraufhin vor das Verfassungsgericht, das am 21. April 2016 einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht bei der Durchführung von Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit feststellte. Die zuständige Generalstaatsanwaltschaft entschied später jedoch, das Verfahren nicht erneut aufzurollen, obwohl das „Verschwindenlassen“ als Verletzung des Menschenrechts nicht der Verjährung unterliegt.