Ibrahim und Edip Çelik seit 30 Jahren verschwunden

Ibrahim und Edip Çelik gelten seit 30 Jahren als verschwunden. Der 50 Jahre alte Kurde und sein 19-jähriger Sohn wurden 1994 mutmaßlich von der Hizbullah ermordet. Ihre Hinterbliebenen suchen seither ihre Leichen.

Von Hizbullah verschleppt und ermordet

Seit 30 Jahren gelten Ibrahim und Edip Çelik als verschwunden. Unter dem Vorwand, ihnen eine Adresse zu zeigen, wurde der 50-jährige Ibrahim Çelik am Abend des 10. Juli 1994 von vier maskierten und bewaffneten Männern, die später als Attentäter der Hizbullah identifiziert wurden, aus seinem Haus in Êlih (tr. Batman) geholt. Sein 19 Jahre alter Sohn Edip wurde misstrauisch und folgte ihnen. Das war das letzte Mal, dass die beiden lebend gesehen wurden. Seither versucht die Familie, Licht ins Dunkel zu bringen. Mit der formell nicht bewiesenen Tatsache, dass Ibrahim und Edip Çelik unmittelbar nach ihrer Mitnahme von der Hizbullah ermordet und irgendwo in Êlih verscharrt wurden, haben sich die Hinterbliebenen abgefunden – ebenso mit der Straflosigkeit für die Täter, die von der Staatsanwaltschaft trotz etlicher Strafanzeigen nicht verfolgt wurden. Sie verlangen die Preisgabe von Informationen, wo der neunfache Vater Ibrahim Çelik und sein Sohn Edip begraben worden sind, um ihnen ein würdevolles Begräbnis und sich selbst einen Ort der Trauer zu ermöglichen.

Dafür kämpfen auch die Samstagsmütter, die heute zum 1007. Mal vor dem Istanbuler Galatasaray-Gymnasium gegen das Verschwindenlassen in staatlichem Gewahrsam protestiert haben. Unterstützt wurden sie in dieser Woche von der Menschenrechtsanwältin Eren Keskin, der kurdischen Politikerin Sebahat Tuncel und der HDK-Sprecherin Esengül Demir. Keskin, die Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD ist, thematisierte den Fall von Ibrahim und Edip Çelik und zeichnete zugleich einen kurzen Umriss der Historie von Hizbullah.

Eren Keskin stellt den Fall um das Verschwindenlassen von Ibrahim und Edip Çelik vor © MA

Staatlich gefördertes Gegengewicht zur Guerilla

Die extremistisch-sunnitische Hizbullah – nicht zu verwechseln mit der libanesischen Hisbollah – entstand in den 1980er Jahren im Umfeld islamischer Buchläden in Amed (Diyarbakır). Sie strebte die Errichtung eines unabhängigen islamischen Staates nach iranischem Vorbild an. Während der 90er Jahre, als der schmutzige Krieg des türkischen Staates in Kurdistan besonders blutig war, bildete die Hizbullah einen integralen Bestandteil der Konterguerilla. Ihre Todesschwadronen wurden vom Staat systematisch als Gegengewicht zur Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gefördert und gingen mit blankem Terror in Städten, in denen die Massenaktionen der kurdischen Bewegung und Volksaufstände besonders weit entwickelt waren, gegen alle vor, die ins Feindbild passten.

Berüchtigt für besonders brutale Morde

Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen gehen von über 17.000 „Verschwundenen“ durch parastaatliche und staatliche Kräfte während der dunklen Periode der 90er aus. Ein Großteil dieser Morde „unbekannter Täter“ gingen auf das Konto der Hizbullah, die unter dem wachsamen Blick und dem Schutz des Staates agierten, während andere Morde von der Konterguerilla aus Spezialeinheiten der Armee, der faschistischen „Grauen Wölfe“ und des Geheimdienstes der Militärpolizei (JITEM) verübt wurden. Die Opfer dieser Killerkommandos waren oftmals gewöhnliche Dorfbewohnende, aber auch Geschäftsleute, Intellektuelle und Politiker:innen, Journalist:innen, Linke, Liberale und Gewerkschafter:innen, die dem Staat kritisch gegenüberstanden; so etwa der kurdische DEP-Abgeordnete Mehmet Sincar oder die muslimische Feministin Konca Kuriş. Die Leichen wurden in Massengräbern, Höhlen oder in stillgelegten Industrieanlagen verscharrt, auf Müllhalden geworfen, in Kellergewölben einbetoniert, in Brunnenschächten und Säuregruben versenkt oder wie in Argentinien durch den Abwurf aus Militärhubschraubern beseitigt.

Enkelin: Der Kampf um Gerechtigkeit geht weiter

Erst als die Hizbullah sich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre verselbstständigte und immer mehr außer Kontrolle des Staatsapparates geriet, ihre Einheiten türkische Imame, Politiker und Unternehmer zu erpressen begangen, sowie gegen die neue aufstrebende AKP agitierten, setzte die neue politische Macht dem mörderischen Treiben in den ersten Jahren ihrer Regierungszeit vorerst ein Ende. Die Verantwortlichen wurden allerdings nie zur Rechenschaft gezogen, sondern vielmehr im Gefängnis geläutert und AKP-konform wieder freigelassen. So waren bei der Parlamentswahl im vergangenen Jahr vier Abgeordnete der Partei Hüda Par, die der politische Arm der Hizbullah ist, auf der Liste der Erdoğan-Partei AKP ins Parlament eingezogen. Şevin Çelik, eine Enkeltochter von Ibrahim Çelik, sprach das letzte Wort auf der Mahnwache der Samstagsmütter: „Und selbst wenn wir es mit einem Staat zu tun haben, dessen Regierung mit Mördern und Terroristen paktiert, um an der Macht zu bleiben, werden wir nicht aufhören, die Herrschenen an ihre Rechenschaftspflicht zu erinnern und Gerechtigkeit zu fordern.“