Samstagsmütter: 26 Festnahmen in der Istanbuler Innenstadt

Die Initiative der Samstagsmütter, die in Istanbul seit Jahrzehnten nach ihren in staatlichem Gewahrsam verschwundenen Angehörigen fragt, ist ein weiteres Mal von der Polizei angegriffen worden. 26 Personen wurden festgenommen.

Die Istanbuler Samstagsmütter sind ein weiteres Mal von der türkischen Polizei daran gehindert worden, auf dem Galatasaray-Platz in der Innenstadt auf das Schicksal ihrer in staatlichem Gewahrsam verschwundenen Angehörigen aufmerksam zu machen und eine Bestrafung der Täter zu fordern. Auf dem Weg zu ihrem angestammten Kundgebungsort wurden die Frauen und ihre Unterstützer:innen aufgehalten, 26 Personen wurden festgenommen und mit auf dem Rücken gefesselten Händen abgeführt.


Die Samstagsmütter wurden auch in dieser Woche von bekannten Persönlichkeiten unterstützt, darunter die Rechtsanwältin Eren Keskin, Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD, sowie die HEDEP-Abgeordneten Cengiz Çiçek, Celal Fırat und Özgül Saki, der TIP-Abgeordnete Ahmet Şık und der ehemalige HDP-Abgeordnete Musa Piroğlu.

Während Journalist:innen gewaltsam zurückgedrängt wurden, wollte die Polizei auch die HEDEP-Abgeordnete Özgül Saki daran hindern, zu den eingekreisten Angehörigen von Verschwundenen zu gehen. Saki protestierte gegen das rechtswidrige Vorgehen der Polizei und wurde erst durchgelassen, nachdem sie mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht hatte. Unterdessen warfen ihre Fraktionskollegen Nelken auf den abgeriegelten Galatasaray-Platz und signalisierten die Fortsetzung des Kampfes für Gerechtigkeit. Cengiz Çiçek, HEDEP-Abgeordneter und Ko-Sprecher des HDK (Demokratischer Kongress der Völker), protestierte gegen den rechtswidrigen Polizeiübergriff und sagte, dass die Samstagsmütter das Gewissen der Gesellschaft repräsentieren und ihr konsequenter Widerstand großen Respekt verdiene.

Die am längsten andauernde Aktion des zivilen Ungehorsams 

Seit über 28 Jahren fordern die Samstagsmütter Aufklärung über ihre in Polizeigewahrsam verschwundenen Angehörigen. Es ist die am längsten andauernde Aktion des zivilen Ungehorsams in der Türkei, die am 27. Mai 1995 mit der Sitzaktion der Familie des durch Folter ermordeten Lehrers Hasan Ocak begann. Geschätzt 17.000 Menschen, darunter Journalist:innen, Politiker:innen und Menschenrechtsaktivist:innen, „verschwanden“ in den achtziger und neunziger Jahren in der Türkei, vor allem in den kurdischen Regionen. Oftmals wurden ihre Leichen in geheime Massengräber auf Militärstützpunkten, aber auch auf Müllkippen oder in Brunnenschächte geworfen. Weder Polizei noch Justiz haben Maßnahmen zur Aufklärung ergriffen.

Seit dem Widerstand im Istanbuler Gezi-Park 2013 sind Protestaktionen auf dem Platz vor dem Galatasaray-Gymnasium verboten. Nur die Samstagsmütter durften hier weiter protestieren. Doch mit der Anschuldigung einer „Nähe zur PKK“ wurde am 25. August 2018 die 700. Mahnwache der Initiative verboten und gewaltsam aufgelöst. Seitdem sind alle Protestaktionen auf dem Galatasaray-Platz verboten. Dies aber steht im Widerspruch zum Recht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, urteilte der türkische Verfassungsgerichtshof am 22. Februar 2023 und verwarf den Einwand des Ministeriums, das den „Schutz der öffentlichen Ordnung“ durch die Samstagsmütter bedroht sieht.

„Jedermann hat das Recht, ohne vorherige Erlaubnis an unbewaffneten und friedlichen Versammlungen und Demonstrationen teilzunehmen“, heißt es in Artikel 34 der türkischen Verfassung, gegen den die Sicherheitsbehörden mit ihrer Verbotsverfügung für die gewaltsam aufgelöste Aktion der Samstagsmütter im August 2018 und alle folgenden verstoßen haben. Die Blockade des Platzes sei damit hinfällig, heißt es in dem Urteil der Verfassungsbeschwerde, mit der Maside Ocak Kışlakçı Erfolg hatte. Das türkische Innenministerium und die Istanbuler Behörden ignorieren das Urteil jedoch und gehen seit Monaten jede Woche gewaltsam gegen die Samstagsmütter und ihre Unterstützer:innen vor.