Samstagsmütter erinnern an vermisste Frauen
Die Samstagsmütter haben in Istanbul an das Schicksal von 19 Frauen erinnert, die zwischen 1991 und 1998 in der Türkei in Polizeigewahrsam „verschwunden” sind.
Die Samstagsmütter haben in Istanbul an das Schicksal von 19 Frauen erinnert, die zwischen 1991 und 1998 in der Türkei in Polizeigewahrsam „verschwunden” sind.
Auf ihrer 780. Kundgebung gegen das „Verschwindenlassen“ in staatlichem Gewahrsam hat die Initiative der Samstagsmütter in Istanbul anlässlich des internationalen Frauentages 8. März das Schicksal von 19 Frauen und einem dreijährigen Mädchen thematisiert, die zwischen 1991 und 1998 nach ihrer Festnahme verschwunden sind.
An der Kundgebung vor der Istanbuler Zentrale des Menschenrechtsvereins IHD nahmen neben den Samstagsmüttern die Vorsitzende der Menschenrechtsstiftung TIHV und hessische Friedenspreisträgerin Şebnem Korur Fincancı, der HDP-Abgeordnete Musa Piroğlu und zahlreiche Aktivist*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft teil.
Die Erklärung zur Mahnwache wurde von der Rechtsanwältin und Istanbuler IHD-Vorsitzenden Gülseren Yoleri verlesen. Yoleri gedachte zunächst allen Frauen, deren Schicksal seit ihrer Festnahme ungewiss ist. „Sie sollen wissen, dass wir sie nicht vergessen haben. Ihre Weggefährtinnen setzen sich noch immer dafür ein, um Aufklärung über das Schicksal der verschleppten Frauen zu fordern. Unser Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit wird solange weitergehen, bis das Schicksal der Vermissten offengelegt wird und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.“
Geschichte der vermissten Frauen
Anschließend verlas Yoleri die Namen der vermissten Frauen und versprach jeder einzelnen von ihnen, sie nicht zu vergessen.
*Makbule Ökdem: Die Kurdin wurde 1991 in Cizîr (Cizre) festgenommen. 18 Jahre später wurde ihr Leichnam bei Straßenbauarbeiten gefunden.
*Ayten Öztürk: Als 32-Jährige wurde sie am 27. Juli 1992 in Dersim von den berüchtigten Todesschwadronen des JITEM, dem informellen Geheimdienst der türkischen Militärpolizei, vor dem Haus ihrer Nachbarin entführt. Elf Tage später fanden Straßenhunde ihren von Folter gezeichneten Leichnam in Xarpêt (Elazığ). Ayten Öztürk waren sogar die Augen ausgestochen worden.
*Rıdda Yavuz: Sie wurde am 14. August 1992 in Dêrika Çiyayê Mazî (Derik) in der nordkurdischen Provinz Mêrdîn (Mardin) gemeinsam mit zwei weiteren Personen festgenommen. Seitdem ist sie verschwunden.
*Sedika Dal: Die aus Nisêbîn (Nusaybin) stammende Kurdin wurde im September 1993 von Angehörigen der türkisch-kurdischen Hisbollah (Hizbullah) entführt. Mitten im belebten Stadtteil Selahaddin Eyyubi wurde ihr ein Sack über den Kopf gezogen, bevor sie verschleppt wurde. Sie wird noch immer vermisst.
*Hamide Şarlı: Sie wurde am 24. Dezember 1993 gemeinsam mit ihrem Bruder Ramazan in ihrem elterlichen Haus in Wanîk, einem Dorf in Bedlîs/Tetwan, von türkischen Soldaten festgenommen. Danach tauchte sie nie wieder auf.
*Hatun Işık, Yeter Işık, Elif Işık, Gülizar Serin und deren dreijährige Tochter Dilek Serin: Sie alle verschwanden am 24. September 1994 nach einer türkischen Militäroperation in ihrem Dorf Mirik in Dersim.
*Lütfiye Kaçar: Sie wurde am 5. Oktober 1994 in Istanbul festgenommen. Seitdem gilt sie als verschwunden.
*Gülnaz Talu und Kadriye Talu: Am 17. Oktober 1994 führten die beiden Frauen aus Mûş ihr Kleinvieh zum Weiden auf eine Alm in der Nähe ihres Dorfes Ortaç im Landkreis Dêrxas (Hasköy). Dort gerieten sie in eine Militäroperation des türkischen Militärs. Ihr Schicksal ist seitdem ungewiss.
*Ayşenur Şimşek: Am 24. Januar 1995 wurde die Apothekerin in Ankara von der Konterguerilla entführt. Tage später fand man ihren entstellten Körper im etwa hundert Kilometer entfernten Kırıkkale an einem Straßenrand. Der Zustand der Leiche von Ayşenur Şimşek stellte eine neue Stufe in der Politik des Verschwindenlassens dar. Im Obduktionsbericht hieß es, dass Einschüsse in Kopf, Brust und Kinn festgestellt wurden. Außerdem wies ihr Körper zahlreiche Folterspuren auf. Ayşenur Şimşek starb am 28. Januar 1995. Ihre Mörder wurden nicht zur Rechenschaft gezogen und sind noch immer frei.
*Hatice Şimşek: Sie wurde am 1. Mai 1995 in Bismîl in der Provinz Amed (Diyarbakir) festgenommen. Danach tauchte sie nicht mehr auf.
*Şükran Daş: Wurde am 7. September 1996 in Amed-Rezik (Bağlar) von Polizeibeamten in Zivil bei einer Razzia festgenommen. Seitdem ist sie verschwunden.
*Fahriye Mordeniz: Gemeinsam mit ihrem Ehemann Mahmut wurde sie am 28. November 1996 in Amed entführt. Etwa zwei Jahre später wurde bekannt, dass ihr Leichnam auf einem Friedhof in Cizîr im Bereich für „Namenlose Tote“ begraben wurde. Dennoch wurde die genaue Stelle noch immer nicht gefunden.
*Zozan Eren: Sie und ihr Ehemann Orhan verschwanden am 26. September 1997, nachdem ihr Fahrzeug auf dem Verkehrsweg Pasûr-Amed angehalten wurde und vermummte staatliche Kräfte in einem berüchtigten weißen Fahrzeug der Marke Renault Toros beide entführten. Sie gelten bis heute als verschwunden.
*Neslihan Uslu: Sie wurde am 31. März 1998 im Urlaubsort Çeşme-Alaçatı in der westtürkischen Provinz Izmir gemeinsam mit drei ihrer Freund*innen festgenommen. Danach wurde nie wieder etwas von ihr gehört.
*Konca Kuriş: Die muslimische Feministin aus Mersin hatte sich von der Hisbollah losgesagt, weil sie mittlerweile Positionen der Glaubensrichtung al-Quranniya vertrat, die religiöse Autoritäten ablehnt und sich ausschließlich auf den Koran beruft. Später beschäftigte Kuriş sich mit dem Thema Identität und Gleichstellung muslimischer Frauen. Am 16. Juli 1998 wurde sie in Mersin unter vorgehaltener Waffe vor ihrem Haus entführt. Am 20. Juni 1999 wurde ihre Leiche einbetoniert im Keller eines Hauses in Meram in der Provinz Konya aufgefunden. Kuriş war während ihrer Geiselhaft schwer gefoltert worden. Gemeinsam mit ihr wurden auch die Leichname drei weiterer einbetonierter Personen gefunden, die versucht hatten, die Hisbollah zu verlassen.