Samstagsmütter erinnern an ermordete Menschenrechtler

Auf ihrer heutigen Kundgebung gegen das „Verschwindenlassen“ in Gewahrsam hat die Initiative der Samstagsmütter das Schicksal des Anwalts Metin Can und des Arztes Hasan Kaya thematisiert. Beide wurden vor 27 Jahren von der Konterguerilla ermordet.

Zum 781. Mal ist die Initiative der Samstagsmütter in Istanbul auf die Straße gegangen, um gegen die staatliche Praxis zu demonstrieren, Menschen in Gewahrsam zu ermorden und die Leichen verschwinden zu lassen. Seit 81 Wochen wird die Kundgebung auf dem angestammten Galatasaray-Platz in der Istanbuler Fußgängerzone Istiklal Caddesi allerdings verboten. Die Samstagsmütter kamen stattdessen wieder in einer kleinen Seitenstraße vor der Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD zusammen. Unterstützt wurde die Mahnwache vom CHP-Abgeordneten Sezgin Tanrikulu sowie zahlreichen Menschenrechtler*innen

Das Thema der heutigen Kundgebung war die Ermordung des Rechtsanwalts Metin Can und des Arztes Hasan Kaya. Beide Männer engagierten sich bis zu ihrem gewaltsamen Tod in der nordkurdischen Provinz Xarpêt (Elazığ) für den IHD.

Die Geschichte

Am 21. Februar 1993, es war ein Sonntag, erhielt Metin Can einen Anruf. „Ihr Mandant ist verletzt festgenommen worden“, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. Can setzte sich sofort ins Auto, holte seinen Freund Hasan Kaya ab und fuhr los. Sechs Tage später waren beide Männer tot. Ihre Leichen wurden von spielenden Kindern unter der Dinar-Brücke in Xarpêt, etwa zwei Kilometer von der nächsten Wache der türkischen Militärpolizei entfernt, gefunden. Metin Can und Hasan Kaya waren regelrecht zerstümmelt worden, bevor man sie mit Kopfschüssen hinrichtete.

Die Autopsie der Leichen ergab, dass die Männer erst fünf Tage nach ihrer Entführung ermordet wurden. Kaya hatte man ein Auge ausgeschlagen und den Schädel zertrümmert, Can wies unter anderem Verletzungen im Gesicht auf, die von Schlägen herrührten. Ihre Hände waren auf dem Rücken mit Kupferkabel zusammengebunden.

Die Entführung und der Mord entsprachen dem bekannten Muster der Attentate der Konterguerilla – Todesschwadronen des JITEM, dem informellen Geheimdienst der türkischen Militärpolizei, dessen Existenz vom türkischen Staat jahrelang geleugnet wurde und der für mindestens vier Fünftel der unaufgeklärten Morde in Nordkurdistan verantwortlich ist. Später hatten Zeugen bestätigt, Metin Can und Hasan Kaya im Beisein von Polizisten in Zivil gesehen zu haben. Ein IHD-Vorstandsmitglied konnte eine dieser Personen identifizieren: es handelte sich um den JITEM-Angehörigen Ayhan Öztürk. Die Hinterbliebenen der Ermordeten strengten zwar einen Prozess in der Türkei an, scheiterten jedoch am gültigen Feindstrafrecht. Daraufhin zogen sie vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der die Türkei verurteilte.

Metin Can wollte nach Duisburg

Einen Tag nach dem Verschwinden der beiden hatte die Ehefrau von Metin Can den ersten einer Reihe von bedrohlichen Anrufen bekommen. Einmal hieß es „Beileid – wir haben die beiden ermordet“, ein anderes Mal: „Der Arzt Kaya wurde entführt, weil er einen verletzten PKK’ler behandelt hat, Can kommt frei. Vorausgesetzt, er fährt nicht nach Deutschland.“

Metin Can war für den 27. und 28. Februar 1993 zu einer Solidaritätsveranstaltung in Duisburg eingeladen. Dort wollte er zugunsten Abimael Guzmáns, dem inhaftierten Anführer der peruanischen Guerillabewegung „Leuchtender Pfad“, auftreten. Sein Visum hatte er bereits Ende 1992 beantragt. Die Reise antreten konnte er aber nicht mehr.

Dass der türkische Staat Menschenrechtler*innen als „Feinde“ deklariert, ist kein neuartiges Phänomen, sondern hat Tradition. Seit der Gründung des Menschenrechtsvereins IHD wurden zwölf leitende Funktionär*innen von „unbekannten Tätern“ ermordet.