Politische Gefangene boykottieren türkische Justiz
Die 2020 in der Türkei verhaftete Rechtsanwältin Merve Nur Doğan ist in Amed (tr. Diyarbakir) wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Hintergrund der Anklage waren Fotos, die bei einer in Licê gefallenen Guerillakämpferin gefunden wurden.
Merve Nur Doğan hatte dem Gericht vorher mitgeteilt, dass sie nicht an der Verhandlung teilnehmen werde. Daraufhin wurde sie am Freitag im Frauengefängnis Tarsus mit physischer Gewalt in einen Raum gebracht, aus dem sie zwangsweise über eine Videoschaltung in die Verhandlung eingebunden wurde. Sie erklärte auf Kurdisch, dass sie aus Protest gegen die Isolation von Abdullah Öcalan entschieden habe, das Gericht zu boykottieren und sich nicht zu verteidigen.
Die Verteidigung bezeichnete die Zwangsvorführung als Menschenrechtsverletzung. Merve Nur Doğan reagierte auf ihre Verurteilung zu neun Jahren Gefängnis mit der Parole „Bijî Serok Apo!“.
Kurdische politische Gefangene in der Türkei boykottieren seit April aus Protest gegen die Isolation von Abdullah Öcalan Gerichtsverhandlungen und verweigern Besuche und Telefonkontakte. Die Protestform ist ein Beitrag für die internationale Kampagne „Freiheit für Abdullah Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage“. Der PKK-Begründer und kurdische Vordenker wird seit 25 Jahren auf der Gefängnisinsel Imrali isoliert, seit März 2021 gibt es kein Lebenszeichen von Öcalan und seinen drei Mitgefangenen.