Oxfam: 20.000 nach Libyen zurückgeschleppte Menschen verschwunden

Nach Angaben der Hilfsorganisation Oxfam gelten über 20.000 Schutzsuchende, die 2021 von der sogenannten libyschen Küstenwache abgefangen und zurückgeschleppt wurden, als „verschwunden“.

Im Jahr 2021 wurden 32.000 Schutzsuchende im Mittelmeer von der sogenannten libyschen Küstenwache abgefangen und zurückgeschleppt. Nach Angaben der Hilfsorganisation Oxfam sind 20.000 von ihnen „verschwunden“. Oxfam klagt zudem an, dass Tausende von denjenigen, die nach Libyen zurückgeschleppt werden, in „klandestinen“ Kerkern landen. Dort werden sie als Sklav:innen verkauft, zur Lösegelderpressung missbraucht und zum Ziel von Folter und Hinrichtungen. Diese Einrichtungen werden von Menschenhändlern oder lokalen bewaffneten Gruppen kontrolliert, die „von der Entführungsindustrie leben“, so Oxfam. Die Hilfsorganisation veröffentlichte zudem mehrere Berichte über Folter an unbegleiteten Minderjährigen.

Oxfam appelliert an Italien, die Such- und Rettungsmissionen aufzunehmen und das Abschottungsabkommen zwischen Italien und Libyen aus dem Jahr 2017 zu annullieren. Italien und Libyen haben am 2. Februar 2017 mit Unterstützung der EU ein Abkommen unterzeichnet, in dem vorgesehen ist, dass die sogenannte libysche Küstenwache Menschen an der Flucht hindert und zurückschleppt. „Fast eine Milliarde Euro kostete die italienischen Steuerzahler ein Abkommen, das die Tragödien auf dem Meer nicht stoppt: Seit 2017 sind über 8.000 Menschen auf der zentralen Mittelmeerroute gestorben“, so Oxfam.

Europa weiter zur Unterstützung der sogenannten libyschen Küstenwache entschlossen

Letzte Woche zeigte ein vertraulicher Bericht, der an EU-Beamte verteilt wurde, dass Europa entschlossen ist, die libyschen Behörden weiterhin dabei zu unterstützen, Schutzsuchende abzufangen und nach Libyen zurückzuschicken. Der Bericht enthielt unter anderem das Eingeständnis, dass die libyschen Behörden bekanntermaßen „übermäßige Gewalt“ gegen Migranten anwenden.

Minderjährige berichten von Folter und Misshandlung

Oxfam führt in seiner Erklärung dramatische Berichte über die Misshandlungen an Minderjährigen in Libyen an. So zum Beispiel einen Jungen aus Bangladesch, der in Italien untergebracht war und sich mit dem Pseudonym Said vorstellt. Er erinnert sich: „Sie sperrten uns in einen Raum, zwangen uns, uns auszuziehen und schlugen uns mit einem Plastikrohr.“

Nach einer zweijährigen Reise „hielten sie mich ein paar Tage vor der Ankunft in der Garage eines Hauses fest, in dem Dutzende anderer Migranten festgehalten wurden, und brachten mich mit ein wenig Brot und Wasser auf dem Rücksitz eines Autos nach Tripolis. Die Fahrt dauerte 37 Stunden“, wird der Junge in der Erklärung zitiert. Menschenhändler hätten seine Familie gezwungen, Geld zu zahlen, damit er seinen Pass zurückbekomme, während er auf einer Baustelle arbeitete. Nach zwei Wochen wurde er von einer anderen bewaffneten Gruppe gekidnappt. Die Gruppe verlangte ebenfalls ein Lösegeld. „Meine Gefängniswärter zwangen mich, zu Hause anzurufen, und wenn ich mit niemandem sprechen konnte, schlugen sie mich“, sagte er.

Unter großen Opfern gelang es der Familie von Said, das Lösegeld zu bezahlen. Der Jugendliche erreichte Italien nach zwei gescheiterten Versuchen und weiteren Geldforderungen, auch von der libyschen Polizei, teilt Oxfam mit.

„Bei meinem zweiten Versuch, Italien zu erreichen, blockierte die libysche Küstenwache das Schlauchboot 14 Stunden nach der Abfahrt“, so Said und fährt fort: „Sie brachten uns in ein Gefängnis. Wir waren 56 Personen in einem Raum, in dem immer das Licht brannte. Sie gaben uns nur zweimal in der Woche etwas zu essen. Sie sperrten mich in ein Zimmer, stahlen die wenigen Wertgegenstände, die ich hatte, und schlugen mich mit einem Plastikrohr.“

Das Vorgehen ist symptomatisch für die sogenannte libysche Küstenwache und mit ihr verbundener Milizen. Die Bundesregierung hatte auf Anfragen von Abgeordneten immer wieder einräumen müssen, dass die libysche Küstenwache in die organisierte Kriminalität verwickelt ist.