Mittelmeer: Völkerrechtswidriger Pullback von Shell-Bohrinsel

Etwa 70 Schutzsuchende, die sich auf eine Shell-Plattform im Mittelmeer gerettet hatten, wurden vom Konzern an die tunesische Marine übergeben. Dies widerspricht dem Völkerrecht, da Tunesien kein sicheres Land für Schutzsuchende ist.

Ein erneuter völkerrechtswidriger Pullback fand am Dienstag von der Shell-Gasplattform Miskar im Mittelmeer aus statt. Zuvor hatten zivile Retter:innen an Bord der Louise Michel in der Nacht zum Dienstag 101 Menschen in der maltesischen Such- und Rettungszone (SAR) im zentralen Mittelmeer erreichen können.

Die Schutzsuchenden waren von Seabird, dem Flugzeug des Seenotrettungs-NGO Seawatch, entdeckt worden. Seabird gab die Position des Bootes an das zivile Rettungsschiff „Louise Michel“ weiter. Der Besatzung gelang es, 31 Schutzsuchende an Bord ihres Rettungsschiffes zu bringen, aber die übrigen etwa 70 kletterten auf die nahe gelegene Miskar-Gasplattform, die Shell im Auftrag der tunesischen Regierung betreibt. Die Offshore-Plattform liegt etwa 120 Kilometer östlich der tunesischen Küste auf der zentralen Mittelmeerroute. Damit befindet sich diese innerhalb der maltesischen Such- und Rettungszone. Sea-Watch erklärte via Twitter: „Im Falle eines illegalen Pullbacks macht sich Shell Germany der Mittäterschaft schuldig.“

Obwohl die maltesische Küstenwache rechtlich für die Koordinierung der Rettung verantwortlich war, verweigerte diese jede Kommunikation und ignorierte die Schiffbrüchigen. Nach etwa 14 Stunden erreichte die tunesische Marine die Gasplattform und brachte die Geflüchteten zurück nach Tunesien. NGOs verurteilen dieses Vorgehen als einen illegalen Pullback an einen für Schutzsuchende „unsicheren Ort“.

Ein Besatzungsmitglied der Louise Michel erklärte gegenüber The Civil Fleet: „Wir wurden Zeug:innen, wie mehrere Schiffe der tunesischen Marine rund 70 Personen illegal von der Shell-Plattform wegbrachten. Wir verurteilen diese Verletzung der Menschenrechte und des Seerechts, an der sich die europäischen Behörden und Shell mitschuldig gemacht haben, aufs Schärfste."

Jacob Berkson, ein Aktivist der Organisation Alarm Phone, bezeichnete das Vorgehen der tunesischen und maltesischen Behörden als „ungeheuerlichen Verstoß" gegen die Flüchtlingskonventionen: „Es ist zu hoffen, dass sie [die Flüchtlinge] nicht in die Hölle Libyens zurückgeschickt wurden, aber man kann auch nicht davon ausgehen, dass Tunesien ein sicheres Drittland ist. Es war Maltas Aufgabe, diese Menschen zu retten. In jeder vernünftigen Welt würden die maltesischen Kräfte schnell und professionell eingreifen, um Menschen in Not zu retten, unabhängig davon, warum sie überhaupt in See gestochen sind. Aber natürlich käme es in einer vernünftigen Welt kaum vor, dass Menschen, die Zuflucht suchen, gerettet werden müssten, da sie auf einem gut gewarteten, kommerziellen Schiff in ein Land ihrer Wahl reisen würden.“

Über die Weihnachten und Neujahr wurden mehr als 1.100 Menschen von zivilen Rettungsinitiativen mir drei Schiffen im zentralen Mittelmeer gerettet. Die europäischen Regierungen ließen die „Geo Barents“ von Ärzte ohne Grenzen (MSF), die „Ocean Viking“ von SOS Mediterranee und die „Sea-Watch 3“ von Sea-Watch erneut tagelang mit Hunderten geretteten an Bord nicht anlanden.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) gab bekannt, dass im Jahr 2021 über 32.400 Menschen auf See aufgegriffen und nach Libyen zurückgeschickt wurden. Die Zahl der in den libyschen Lagerhorror zurückgeschleppten Migrant:innen hat sich damit im Vergleich zum Vorjahr fast verdreifacht.