In einem dringlichen Appell an den Schweizer Bundesrat haben sich 33 Abgeordnete des Stände- und Nationalrats für Druck auf die Türkei wegen der Menschenrechtsverletzungen ausgesprochen und die Regierung aufgefordert, die Ratifizierung des neuen Freihandelsabkommens des Landes mit Ankara aufzuschieben, solange die Türkei die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nicht umsetzt.
In dem Schreiben unterstreichen die 33 Rätinnen und Räte, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan das Land „auf einen zunehmend autoritären Weg geführt“ habe. „Er hat die verschiedenen Formen der Opposition im Land systematisch an den Rand gedrängt, kritische Medien zum Schweigen gebracht oder kooptiert, unabhängige Richter entlassen und durch seine Parteigänger ersetzt sowie viele Journalisten und andere Aktivisten inhaftiert.“ Auch wird auf den Demokratieindex des „Freedom in the World Report 2020“ der NGO Freedom House verwiesen, in dem die Türkei als „unfreies Land“ gelistet ist. „Der Bericht des US-Außenministeriums über die Menschenrechtspraxis 2019 stellt darüber hinaus fest, dass die Regierung unter einer breit angelegten Anti-Terrorismus-Gesetzgebung grundlegende Freiheiten beschnitten und die Rechtsstaatlichkeit ausgehöhlt hat“, heißt es weiter.
„Kriegerische Außenpolitik“ von Erdoğan
Auch die Außenpolitik von Erdoğan sei im Laufe der Zeit immer „kriegerischer“ geworden, stellen die Schweizer Abgeordneten fest: „In den letzten Jahren hat er die Kurden angegriffen, die in Syrien gegen die Dschihadistengruppe ‚Islamischer Staat‘ kämpfen, und führt im Nordirak unter völliger Verletzung der Souveränität des Landes militärische Interventionen durch. Er hat Aserbaidschan ermutigt, zur Beilegung eines Territorialkonflikts mit Armenien auf Gewalt zurückzugreifen. In den Konflikten zwischen Aserbaidschan und Armenien und in Libyen hat der türkische Staat unter völliger Verletzung des Völkerrechts Söldner rekrutiert und in diese Länder geschickt. Präsident Erdogan hat auch versucht, eine Reihe von Ländern, darunter die Schweiz, unter Druck zu setzen, türkische Staatsangehörige auszuliefern, die er für den gescheiterten Putsch von 2016 verantwortlich macht.“
Einsatz für HDP und Frauenschutzkonvention gefordert
Weiter heißt es in dem Schreiben: „In diesem Zusammenhang glauben wir, dass der Schweiz eine Schlüsselrolle zukommt. Wir fordern Sie auf, Präsident Erdogan und seine Regierung zu drängen, das harte Durchgreifen gegen Andersdenkende im In- und Ausland sofort zu beenden, politische Gefangene und Gefangene aus Gewissensgründen freizulassen und den autoritären Kurs, den das Land eingeschlagen hat, umzukehren. Wir fordern, dass Präsident Erdogan das Verbotsverfahren gegen die HDP einstellt und die Entscheidung, aus der Istanbul-Konvention auszutreten, rückgängig macht.
Türkei an Verpflichtungen erinnern
Es erscheint uns auch sinnvoll, dass die Schweiz die Türkei an die Verpflichtungen erinnert, die sie mit der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention eingegangen ist. Deshalb fordern wir den Bundesrat auf, die Ratifizierung des neuen Freihandelsabkommens zwischen der Schweiz und der Türkei zu verschieben, solange die Türkei die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht umsetzt. Wir glauben zutiefst an die Fortführung der humanitären Tradition der Schweiz und der Werte, die der Bund verteidigt, und sind überzeugt, dass dieser dringende Appell Gehör finden wird.“
Unterzeichnet wurde der Brief von: Élisabeth Baume-Schneider | Marina Carobbio Guscetti |Christophe Clivaz | Brigitte Crottaz | Denis De la Reussille | Laurence Fehlmann Rielle | Pierre Alain Fridez | Claudia Friedl | Tamara Funiciello | Balthasar Glättli | Eva Herzog | Irene Kälin | Ada Marra | Min Li Marti | Lisa Mazzone | Mattea Meyer | Sophie Michaud Gigon | Fabian Molina | Martina Munz | Isabelle Pasquier-Eichenberger | Valérie Piller Carrard | Katharina Prelicz-Huber | Stéfanie Prezioso | Léonore Porchet | Valentine Python | Franziska Roth | Franziska Ryser | Ursula Schneider Schüttel | Priska Seiler Graf | Carlo Sommaruga | Nicolas Walder | Manuela Weichelt-Picard | Cedric Wermuth