Libyen: Mehr als 5.000 Schutzsuchende gefangen genommen

Bei einer Razzia der libyschen Armee wurden mehr als 5.000 Migrant:innen gefangen genommen. Unter ihnen befinden sich auch schwangere Frauen und Kinder. Den Gefangenen drohen nun Folter und Inhaftierung.

Während die sogenannte libysche Küstenwache erneut Hunderte Schutzsuchende auf dem Weg übers Mittelmeer nach Europa abgefangen hat, hat die libysche Armee mehr als 5.000 Migrant:innen bei Razzien gefangen genommen.

Die Razzia begann am Freitag in der westlibyschen Stadt Gargaresh, einer wichtigen Drehscheibe für Migrant:innen, und weitete sich auf die umliegenden Gebiete aus. Die libyschen Behörden bezeichneten die Aktion als Sicherheitskampagne gegen undokumentierte Migration und Drogenhandel. Offenbar wurden jedoch nur Schutzsuchende gefangen genommen. Nach Angaben der UNO sind unter den Gefangenen 215 Kinder und über 540 Frauen, darunter mindestens 30 Schwangere.

Schläge und Schüsse auf Migrant:innen

„Unbewaffnete Migranten wurden in ihren Häusern schikaniert, geschlagen und es wurde auf sie geschossen“, berichtet die UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe in Libyen, Georgette Gagnon. Mindestens ein Schutzsuchender wurde bei den Razzien getötet und 15 weitere wurden verletzt, so die Erklärung.

Aus einem Bericht der UN-Migrationsbehörde IOM geht hervor, dass bei den Razzien seit Freitag 5.152 Migranten festgenommen wurden. Diese Zahlen werden dem Bericht zufolge wahrscheinlich noch steigen, da die Razzien weitergehen.

Migrant:innen werden in Lagern inhaftiert

Die Schutzsuchenden wurden in einem sogenannten „Sammel- und Rückführungszentrum“ in Tripolis inhaftiert und werden anschließend auf die Haftanstalten in Tripolis und Umland verteilt. Illegale Einreise wird in Libyen mit Haft und Zwangsarbeit bestraft. Den Gefangenen, unter ihnen schwangere Frauen und Kinder, droht ein grausames Schicksal in den berüchtigten libyschen Haftlagern. In diesen Lagern ist der Alltag von Folter, Zwangsarbeit und Hunger geprägt. Sie wurden sogar von deutschen Diplomaten als „KZ-ähnlich“ bezeichnet. Es liegen viele Berichte über Sklavenhandel und systematische sexualisierte Gewalt gegen Schutzsuchende vor. Die EU unterstützt Libyen beim Abfangen von Schutzsuchenden, wohl wissend, dass diese in Libyen schwersten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Daher erscheint die Aussage von EU-Sprecherin Nabila Massrali gegenüber AP, die EU habe Libyen schon seit langem aufgefordert, eine Alternative zum System der willkürlichen Inhaftierungen im Umgang mit Migranten zu finden, mehr als scheinheilig. Auch der Appell: „Die EU unterstützt zwar uneingeschränkt die libysche Souveränität, fordert die libyschen Behörden aber auch nachdrücklich auf, bei diesen Operationen keine tödliche Gewalt anzuwenden“, hat so einen bitteren Beigeschmack.

Alexandra Saieh, Leiterin der Libyen-Abteilung des Norwegischen Flüchtlingsrats, sagte der Nachrichtenagentur AP über die Situation von Migrant:innen in Libyen: „Die Menschen sind in Angst. Das ist wirklich ein Weckruf für die katastrophale Situation, in der sich Migranten und Flüchtlinge in Libyen befinden, und die internationale Gemeinschaft muss eingreifen.“

25.000 Schutzsuchende abgefangen

Während die Razzien andauern, werden immer mehr Schutzsuchende von der sogenannten libyschen Küstenwache abgefangen und in Lager verschleppt. Am Montag wurde ein Boot mit etwa 500 Migrant:innen nach UNHCR-Berichten von der libyschen Küstenwache aufgebracht, anschließend wurden weitere 59 Schutzsuchende vor der libyschen Küste abgefangen.

Allein in den ersten neun Monaten des Jahres 2021 hat die von der Europäischen Union ausgebildete und ausgerüstete libysche Küstenwache mehr als 25 000 Menschen aufgegriffen und in den libyschen Lagerhorror verschleppt. Etwa 44.000 Menschen haben im gleichen Zeitraum das zentrale Mittelmeer von Tunesien und Libyen aus überquert, um die europäischen Küsten zu erreichen. Mehr als 1.100 Schutzsuchende wurden tot an der libyschen Küste angespült.