Lager in Deutschland: Rassismus, Übergriffe und Drogen
Während in Deutschland immer neue menschenfeindliche Maßnahmen gegen Schutzsuchende diskutieren werden, sind die Lebensbedingungen in Flüchtlingslagern bereits jetzt katastrophal.
Während in Deutschland immer neue menschenfeindliche Maßnahmen gegen Schutzsuchende diskutieren werden, sind die Lebensbedingungen in Flüchtlingslagern bereits jetzt katastrophal.
Der mutmaßliche IS-Anschlag in Solingen hat den flüchtlingsfeindlichen Diskurs verschärft. Statt gegen Islamismus vorzugehen oder wenigstens die Förderung der islamistischen Hetzer der DITIB als Vertretung der türkischen Religionsbehörde einzustellen und islamistische Rechtsextremisten von Milli Görüş nicht mehr für den Islamkundeunterricht einzusetzen, überschlagen sich Opposition und Bundesregierung in immer neuen flüchtlingsfeindlichen Vorschlägen. Unter den Tisch fällt dabei, dass viele der Menschen, die nach Deutschland fliehen, selbst vor islamistischen Regimen wie dem im Iran und in der Türkei oder Terrorbanden wie dem IS oder den dschihadistischen Söldnern der Türkei in Nord- und Ostsyrien geflohen sind. Diese Menschen landen in Deutschland in einer humanitären Katastrophe. Die Bedingungen in den Lagern und Heimen sind von Unsicherheit, Gesundheitsgefahr, Rassismus und Bedrohung geprägt. Von einer Inklusion in die Gesellschaft kann keine Rede sein.
In den letzten Jahren wurde von der Bundesregierung ein System von Lagern installiert. Die billigsten Träger und Sicherheitsunternehmen bekommen den Zuschlag für den Betrieb der Einrichtungen, in denen Schutzsuchende nach ihrer Ankunft leben müssen. Unterversorgung, ungenießbares Essen und überfordertes unprofessionelles Personal sind nicht die Ausnahme, sondern Regel und erscheinen sogar im Sinne der flüchtlingsfeindlichen Politik deutscher Regierungen als gewollt. So sind in vielen dieser Lager rassistische Angriffe und Übergriffe an der Tagesordnung. Insbesondere für Menschen mit besonderem Schutzbedarf sind die Mängel drastisch. Die Tageszeitung Yeni Özgür Politika hat mit Schutzsuchenden über ihre Erfahrungen mit dem deutschen Lagersystem gesprochen.
Sexualisierte Gewalt gegen Frauen
Eine dieser Schutzsuchenden ist Didem Tütenk aus dem nordkurdischen Dersim. Sie hatte an der Ege-Universität Biologie studiert und wurde 2013 für 15 Monate und 2017 für sieben Monate wegen ihrer Teilnahme an legalen Protesten inhaftiert. Außerdem wurde sie deshalb sechs Monate von der Universität suspendiert. Am 14. Oktober 2023 floh sie nach Deutschland, da sie aufgrund weiterer Verfahren mit einer erneuten Inhaftierung rechnen musste. Tütenk befand sich zunächst in der Landesaufnahmestelle Baden-Württemberg in der Graf-Stauffenberg-Kaserne in Sigmaringen. Sie berichtete: „Die Tür des Zimmers, in dem wir untergebracht waren, hatte kein Schloss. Mitten in der Nacht brachten sie plötzlich neue Leute, die Tür öffnete und schloss sich ständig. Es gab viele Frauen, die in diesem Lager belästigt oder angegriffen wurden. Am nächsten Tag wurden wir in das Lager Tübingen geschickt.“
Didem Tütenk: „Ein Flüchtling zu sein, bedeutet ein ganz anderes Leben zu führen.“
Unerträgliche Bedingungen im Lager für besonders Schutzbedürftige
Didem Tütenk wurde in die Erstaufnahmeeinrichtung Tübingen (EA), die für die Unterbringung von Geflüchteten mit besonderem Schutzbedarf ausgewiesen ist, verlegt. „Es war ein Lager für Frauen und LGBTI+ Personen. Es bestand aus zwei Blöcken und in jedem Zimmer waren vier Personen untergebracht. Jeden Freitag wurden neue Asylbewerberinnen mit Bussen hierher gebracht. Man ist mit drei Personen, die man noch nie gesehen hat, in einem Raum. Die Bedingungen dort waren sehr hart und eigentlich unerträglich. Eine Transgender-Person wurde im letzten Moment daran gehindert, sich aus dem Fenster zu stürzen, um sich das Leben zu nehmen“, berichtete Tütenk.
Die Probleme werden nicht gelöst
Nach einem Monat in Tübingen wurde Didem Tütenk mitten in der Nacht in das Heim in Hopfau gebracht, in dem sie aktuell lebt. Heime sind häufig ebenfalls bewusst außerhalb von Siedlungen angelegt, um eine Verbindung mit der Gesellschaft und etwaige Abschiebehindernisse zu verhindern. Tütenk erzählte: „Sie ließen uns an einem Ort auf einem Berg zurück. Überall war Dreck. Wir blieben stundenlang hungrig. Wir hatten kein Telefon, kein Internet, kein Wasser und auch nichts zu essen. Der nächste Supermarkt war eineinhalb Stunden Fußmarsch entfernt. Ein Fahrzeug holte uns morgens ab, wir kauften, was wir brauchten. Es dauerte einen Monat, bis wir uns eingelebt hatten. In den Wintermonaten funktionierte unsere Heizung eine Woche lang nicht, ich hatte in dieser Woche Fieber und auch die kleinen Kinder hier wurden krank. Wir konnten den Betreuer nur per E-Mail erreichen, er sagte, es würde jemand kommen, aber es kam niemand. Wir mussten die Türen des Heizungsraums aufbrechen und das Erdgas selbst einschalten. Es gibt hier keine Verantwortlichen, die dauerhaft da sind. Eine Person kommt zwei Tage in der Woche, aber löst keines unserer Probleme, unsere Probleme werden immer aufgeschoben. Meine Nachbarin kämpfte zwei Monate lang darum, dass ihr kaputtes Bett repariert wird. Ihr Kind musste zwei Monate lang auf dem Boden schlafen. Es gibt einen Hausmeister, der das in fünf Minuten erledigen könnte. Aber die Arbeit hat einen Monat gedauert.“
Rassistische Angriffe: Tierkot ins Heim geworfen
Didem Tütenk weiter: „Manchmal sitzen die Schutzsuchenden auf der Feuerleiter unserer Unterkunft. Ein Deutscher, der auf der anderen Straßenseite wohnte, sagte ständig etwas und schrie. Er hat Fotos gemacht und Leute belästigt. Wir dachten, dass er sich durch den Lärm gestört fühlte und waren deshalb vorsichtiger, aber diese Person belästigte uns weiter. Als ich diesen Mann am 28. April traf, wurde mir klar, dass der Vorfall eine rassistische Dimension hatte: Als ich von der Demonstration zurückkam, rief er etwas auf Deutsch und hatte Tierkot über den Zaun seines Gartens in unseren zweiten Stock geworfen. Die Fäkalien waren in die Flure gelangt. Als ich ihn fragte, warum er uns angreift, beleidigte er uns. Als ich ihm sagte, dass dies rassistisch sei, rannte er ins Haus, aber in der Zwischenzeit machte er wieder Fotos von uns. Diese Person hatte das schon gemacht, als Menschen aus der Ukraine und Syrien hier waren. Er sagte, er wolle keine Flüchtlinge hier haben.“ Sie unterstrich, dass sich die Schutzsuchenden dort nicht sicher fühlen. Die Menschen hätten Angst, dass das Gebäude angezündet würde.
Schwangere verliert Kind aufgrund Ignoranz der Ärzte
Tütenk betonte, dass sie nicht freiwillig nach Deutschland gekommen sei, sondern als Flüchtling. Sie schloss mit den Worten: „Ein Flüchtling zu sein, bedeutet ein ganz anderes Leben zu führen. Man steht unter großem psychologischen und wirtschaftlichen Druck. Man hat nur ein Minimum an Lebensqualität. Sogar im Supermarkt können wir den Klassenunterschied sehen. Eine schwangere Freundin von mir war krank und konnte kein Deutsch sprechen. Deshalb konnte sie nicht regelmäßig zum Arzt gehen. Der Arzt akzeptierte keine telefonischen Konsultationen oder telefonische Übersetzungen. Sie hat ihr Kind verloren. Ein anderer Arzt sagte: ‚Wenn Sie vor zwei Monaten gekommen wären, hätten wir Ihr Baby retten können.‘ Das ist eine Art von Rassismus. Woher sollen sie die Sprache eines Landes kennen, in dem sie gerade erst angekommen sind? Die Einrichtungen sollten ihnen entsprechende Hilfe zur Verfügung stellen.“
„Wir leben in Angst“
Esma Aktaş: „Ich kann sagen, dass die Bedingungen in den Lagern überhaupt nicht sicher sind“
Esma Aktaş, die vor zwei Jahren nach Deutschland geflohen ist, hatte schon von den schlechten Bedingungen für Schutzsuchende dort gehört. Die Realität war jedoch weit schlimmer, als sie sich es vorgestellt hatte. Aktaş berichtete: „Ich bin nach Deutschland gekommen, weil ich dachte, dass hier die Rechte von Frauen und Kindern im Vordergrund stünden. Ich wusste, dass die Bedingungen in den Lagern schwierig sein können, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie so schwer sein können, dass eine Frau und ein Kind praktisch nicht leben können. Ich kann sagen, dass die Bedingungen in den Lagern überhaupt nicht sicher sind. Drogen sind fast zur Normalität geworden. Die Polizei nimmt diejenigen, die Probleme machen, in Gewahrsam, setzt sie aber nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß. Wir haben Angst um unser Leben. In dem Lager, in dem ich untergebracht bin, wurden mein Sohn und ich mit einem Messer angegriffen. Die psychische Verfassung meines Sohnes verschlechterte sich ständig. Wir sind völlig zusammengebrochen, als die Person, die den Angriff verübt hat, wieder zu uns zurückgeschickt wurde. Wir wollen in ein anderes Lager verlegt werden, aber wir konnten keinen Ansprechpartner finden. Wir lebten vier Monate lang in Angst. Ich habe meinen Sohn zum Arzt gebracht, und er nimmt jetzt Medikamente. Man könnte uns auch in ein anderes Lager für Familien oder für Frauen und Kinder schicken. Aber das geschieht nicht. In den Lagern kommt es auch zu sexualisierten Übergriffen. Aber die Frauen können nichts machen, sie schweigen.“
„Es handelt sich eigentlich um Quälerei“
Der politische Flüchtling Cem Urun lebt seit Oktober 2023 im berüchtigten Lager Berlin-Tegel. Urun berichtete, dass sich 5.000 Menschen in dem Lager aufhalten und dass jeden Tag neue Zelte aufgestellt werden, so dass die Kapazität auf 7.000 Menschen erhöht werden kann. Der einzige Unterschied zwischen dem Lager und einem Gefängnis bestehe darin, dass die Insassen nach draußen gehen könnten.
Cem Urun: „Ich wusste nicht, dass es so viel Inkompetenz auf einmal geben kann.“
Urun erklärte: „Wenn ich sage, dass man nach draußen gehen kann, dann ist das auch nicht so einfach. Wir haben kein Ticket, weil unser Verfahren noch nicht eingeleitet wurde. Also müssen wir illegal rausgehen. In jedem Zelt im Lager leben 400 Menschen. Es gibt kein Dach über uns, die Bereiche, in denen wir untergebracht sind, haben keine Türen. Sie sind nur durch Vorhänge getrennt. Jeder kann überall ein- und ausgehen. Der Speisesaal wird geteilt, das Bad wird geteilt, die Toilette wird geteilt. Wir können die Toiletten und Bäder nicht benutzen, weil sie meistens kaputt sind. Um diese Grundbedürfnisse zu befriedigen, müssen wir die Zeltstadt verlassen. Das Hin- und Herlaufen bei kaltem Wetter ist eine Quälerei."
Urun sagte, er sei es aus der Türkei gewohnt, dass Grundrechte nur für eine bestimmte Gruppe von Menschen gelten, in Deutschland sei es aber nicht anders. Er führte aus: „Ich wusste nicht, dass es so viel Inkompetenz auf einmal geben kann. Innerhalb von vier Monaten sind mindestens 15 Menschen wegen der Bedingungen hier zurückgekehrt. Sie haben gesagt: ‚Wenn wir schon sterben müssen, dann in unserem eigenen Land.‘“
Islamisten verüben Angriffe in Lagern
Urun berichtete von den Angriffen von IS-Anhängern im vergangenen November in dem Lager und sagte: „Als sie uns angriffen, hielten sie Ausgaben des Koran in der Hand und riefen Parolen wie ‚Ungläubige Kurden, wir wollen euch hier nicht‘ und ‚Wir werden tun, was der IS nicht tun konnte.‘ Dabei handelte es sich um syrische und irakische Araber. Einer der Hauptgründe für diesen Angriff war, dass es unter den Mitarbeitern bestimmte Positionierungen gibt. Die meisten der Sicherheitsmitarbeiter sind arabische Migranten. Man versucht, Flüchtlinge mit anderen Flüchtlingen zu disziplinieren. Können Sie sich vorstellen, dass sich bei einer Polizeirazzia 87 der 185 Mitarbeiter der Nachtschicht als illegale Arbeiter entpuppten? 55 von ihnen hatten nicht einmal einen Sicherheitsausweis. Wir wussten das schon, Flüchtlinge wie wir bekamen plötzlich Westen und wurden zu Wachmännern in der Nacht, weil es keine Aufsicht gab. Einem unserer Kollegen wurde bei dem Angriff die Nase gebrochen. Es war einer der illegalen Arbeiter, der das getan hat. Diese illegalen Sicherheitskräfte waren es auch, die die Angreifer mit Messern versorgten. Der Angriff begann in der Nacht und dauerte bis acht oder neun Uhr morgens. Wir waren gezwungen, uns zu verteidigen. Wir brachten die Familien in das sichere Zelt, und 15 bis 20 Personen sorgten für die Sicherheit der Familien außerhalb des Zeltes. In dieser Nacht führten wir die Evakuierung durch, die der Sicherheitsdienst hätte durchführen sollen. Nach dem Angriff wurden wir in ein anderes Zelt verlegt. Einen Tag nach dem Angriff brachten die Sicherheitskräfte ein oder zwei Personen, die uns angegriffen hatten, in unser neues Zelt. Nachdem sie uns gesehen hatten, versuchten sie erneut, uns mit 40 bis 45 Personen anzugreifen. Es gibt hier keine Sicherheit. Keiner unserer Anträge an die Lagerleitung hat zu einem positiven Ergebnis geführt.“