Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) werden am Dienstag die Rechtsverletzungen türkischer Sicherheitskräfte während der Ausgangssperre in Cizîr (Cizre) vor drei Jahren verhandelt. Einigen Überlebenden, darunter auch dem zweijährigen Bêkes Tunç, hat die französische Botschaft keine Visa erteilt, weil sie Anträge auf Asyl befürchtet.
Über die Kreisstadt in der Provinz Şirnex war am 14. Dezember 2015 eine Ausgangssperre verhängt worden, die erst am 1. März 2016 wieder vollständig aufgehoben wurde. Bei den 79 Tage währenden Kämpfen starben 66 Mitglieder der zivilen Verteidigungseinheiten (YPS) und 213 Zivilist*innen. Der Staat ging mit Panzern, Raketen und Bomben gegen den Widerstand der Bevölkerung vor. Über 150 Menschen wurden in den Stadtteilen Cûdî und Nur vor den Augen der Weltöffentlichkeit bei lebendigem Leib verbrannt. Bei dem Verfahren vor dem EGMR kommende Woche geht es um die Fälle von Ömer Elçi und Orhan Tunç. Orhan Tunç, der Bruder des in einem der berüchtigten Todeskeller ums Leben gekommenen Ko-Vorsitzenden des Volksrates von Cizîr, Mehmet Tunç, war von Sicherheitskräften angeschossen worden. Da der Krankenwagen nicht zu ihm durchgelassen wurde, erlag er seinen Verletzungen. Beide Anträge werden als Präzedenzfälle behandelt.
Einige der Überlebenden und Zeugen der staatlichen Gewalt werden der Verhandlung vor dem Strassburger Gericht beiwohnen. Die meisten der für die Reise dorthin nötigen Visa-Anträge wurden jedoch von der französischen Botschaft in Ankara mit dem Verweis auf die Gefahr eines Antrags auf Familienasyl abgelehnt. Zu den Betroffenen zählt auch Esmer Tunç, Mutter von Mehmet und Orhan Tunç, sowie dessen zweijähriger Sohn Bêkes Tunç. Über den Visumsantrag seiner Mutter Güler wurde positiv entschieden.