Vor der 35. Strafkammer in Istanbul hat die elfte Verhandlung im „Büyükada“-Prozess stattgefunden. Die Verhandlung war mit Spannung erwartet worden, weil für heute mit der Urteilsverkündung gegen die elf Angeklagten gerechnet wurde. Da die Plädoyers der Verteidigung länger dauerten, wurde die Verhandlung auf den 3. April vertagt.
Bei den Angeklagten handelt es sich um den Vorsitzenden der türkischen Sektion von Amnesty International, Taner Kılıç, die ehemalige Amnesty-Direktorin Idil Eser, den deutschen Menschenrechtsexperten Peter Steudtner, seinen schwedischen Kollegen Ali Gharavi, sowie die Menschenrechtsaktivist*innen Nejat Taştan, Veli Acu, Günal Kurşun, Özlem Dalkıran, İlknur Üstün, Nalan Erkem und Muhammed Şeyhmus Özbek.
Zehn der Angeklagten waren im Juni 2017 während eines Workshops auf der Insel Büyükada unter dem Vorwurf festgenommen worden, zur verbotenen Gülen-Bewegung zu gehören. Die Bewegung des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen wird von der türkischen Regierung für den Putschversuch vom 15. Juli 2016 verantwortlich gemacht.
Zu Prozessbeginn im Oktober 2017 kamen alle frei, Steudtner und Gharavi verließen anschließend die Türkei. Taner Kılıç, dessen Fall später der Anklageschrift hinzugefügt wurde, saß mehr als ein Jahr im westtürkischen Izmir in Untersuchungshaft. Um die Freilassung von Peter Steudtner zu erwirken, war zuvor Altbundeskanzler Schröder zu geheim gehaltenen Verhandlungen in die Türkei entsandt worden.
Die Staatsanwaltschaft hatte im November 2019 eine Verurteilung von Taner Kılıç wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gefordert. Für Nejat Taştan, Veli Acu, Günal Kurşun, İdil Eser und Özlem Dalkıran beantragte der Staatsanwalt Haftstrafen zwischen 7,5 und 15 Jahren wegen Unterstützung einer Terrororganisation. Peter Steudtner und die restlichen Angeklagten sollten freigesprochen werden.
Bei der heutigen Verhandlung forderten Kılıç und weitere Angeklagte Freispruch. Die Verteidigung bezeichnete die herangezogenen Beweismittel als juristisch wertlos und das gesamte Verfahren als Fiasko. Die Anklageschrift spiegele die politische Einstellung der Staatsanwaltschaft wider, sagte Rechtsanwältin Hülya Gülbahar. Da nicht alle Plädoyers gehalten werden konnten, wurde die Verhandlung vertagt.
Vor Prozessbeginn haben Menschenrechtsaktivist*innen vor dem Gerichtsgebäude in Çağlayan protestiert und einen Freispruch für die Angeklagten gefordert. Die Verteidigung der Menschenrechte dürfe in der Türkei nicht weiter kriminalisiert werden, hieß es in einer Erklärung.