Die kurdische Politikerin Birsen Orhan (DEM) ist von einem türkischen Gericht in der nordkurdischen Provinz Dersim (tr. Tunceli) zu zwei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Grundlage sind die Vorwürfe „Verherrlichung von Straftaten und -tätern“, „Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen“ und „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Der am Donnerstag vor der Strafkammer des Landgerichts Tunceli verhandelte Prozess ging jedoch mit einem Aufschub der Urteilsverkündung (HAGB) zu Ende. Die sogenannte Verwarnung mit Strafvorbehalt bewirkt, dass die Verurteilung nicht rechtskräftig wird, sofern die Angeklagte innerhalb einer Bewährungsfrist nicht erneut straffällig wird.
Vorwürfe im Zusammenhang mit Protesten
Der Prozess gegen Birsen Orhan, die Ko-Bürgermeisterin von Dersim war, geht zurück auf Proteste im vergangenen Herbst. Konkret ging es um Äußerungen der Politikerin gegen die Zwangsverwaltung. Im November hatte das türkische Innenministerium die Amtsentlassung der gewählten Stadtspitze verfügt und den Provinzgouverneur zum Treuhänder des Rathauses bestellt. Begründet wurde das Vorgehen mit einer nicht rechtskräftigen Haftstrafe gegen den anderen Ko-Bürgermeister, Cevdet Konak, wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer „Terrororganisation“.
Birsen Orhan hatte die Zwangsverwaltung bei einer Protestkundgebung als „Besatzung“ und den Gouverneur als „Instrument der Okkupation“ bezeichnet. Das Urteil gegen Konak kritisierte sie als politisch motiviert und Ergebnis einer politisierten Justiz, die der AKP-Regierung von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan für dessen Feldzug gegen seine Gegner in die Hände spielen würde. Deshalb erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Orhan.
Die Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM) war bei der Kommunalwahl im März 2024 stärkste Kraft in Dersim, die Ernennungsurkunde zum Bürgermeister erhielt allerdings nur Cevdet Konak. Laut dem DEM-Parteistatus müssen Spitzenämter mit einem Mann und einer Frau besetzt werden – das Prinzip der genderparitätischen Doppelspitze gilt in allen Gremien. Im türkischen Rechtssystem ist der Ko-Vorsitz jedoch nicht verankert. Da es Konak war, der eine Bewerbung für die Kandidatur bei der Kommunalwahl einreichte, wurde nur er als Bürgermeister vereidigt; Orhan galt offiziell als Stadtverordnete und stellvertretende Bürgermeisterin.
Nicht erste Verurteilung
Für Birsen Orhan ist es nicht die erste Verurteilung im Zusammenhang mit ihrem politischen oder aktivistischen Wirken. Ende April wurde die Politikerin wegen des Singens von kurdischen Liedern während einer politischen Veranstaltung zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Sie hatte im Februar vergangenen Jahres an einer Kundgebung anlässlich der damals stattfindenden Aktionswochen für die Freiheit des PKK-Begründers Abdullah Öcalan und eine politische Lösung für die kurdische Frage teilgenommen. Während der Veranstaltung in Dersim tanzten Orhan und andere Frauen den Govend – einen traditionellen Reihentanz – und sangen die Lieder „Berxwedan xweş doz e“ und „Herne Pêş“. Das Gericht wertete dies als „Propaganda für eine Terrororganisation“.