Für den seit 31 in der Türkei inhaftierten Kurden Nevzat Öztürk ist eine Unterschriftenkampagne initiiert worden. Seine heute in Köln lebende Tochter Jiyan war drei Jahre alt, als ihr Vater 1992 in Istanbul festgenommen und nach 14 Tagen Misshandlung auf einer Polizeistation wegen „Zerstörung der Einheit und Integrität der Türkei“ zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Im Juni dieses Jahres hätte Öztürk eigentlich entlassen werden sollen, doch seine Haft wurde um drei Monate verlängert. Wie bei politischen Gefangenen üblich, hängt die Freilassung von der Sozialprognose eines Kontrollausschusses ab, der willkürliche Entscheidungen mit teilweise sehr absurden Begründungen trifft. Nevzat Öztürk wird vorgeworfen, im Gefängnis „nicht sparsam mit Strom umgegangen“ und „nicht genügend Bücher in der Gefängnisbibliothek gelesen“ zu haben.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) appelliert zusammen mit Öztürks Tochter Jiyan an die Menschenrechtsbeauftragte Luise Amtsberg, sich für seine Freilassung einzusetzen. In dem Appell wird darauf hingewiesen, dass sich die Lage politischer Gefangener in der Türkei seit dem gescheiterten Militärputsch am 15. Juli 2016 verschärft hat und inhaftierte Kurd:innen zwangsassimiliert werden: „In türkischen Gefängnissen wird versucht, Kurd:innen zu assimilieren, indem man sie zwingt, ihre kurdische Identität zu verleugnen und ihre Sprache, Kultur und Geschichte abzulehnen.“
Öztürk ist herzkrank und befindet sich zurzeit im F-Typ-Gefängnis Bolu in der Westtürkei. Der heute 57-Jährige wurde immer wieder verlegt, teilt die GfbV mit: „Besuchs- und Telefonverbote sind an der Tagesordnung. Ehefrau und Sohn, die noch in der Türkei leben, müssen 1300 Kilometer fahren, um ihn sehen zu können – nur um dann manchmal abgewiesen zu werden. Auch hier herrscht staatliche Willkür. Ob Öztürk in drei Monaten tatsächlich freikommt? Das ist ungewiss. Wir wollen uns mit euch dafür einsetzen. Unterzeichnen Sie jetzt den Appell und fordern Sie seine Freilassung!“
Der GfbV-Nahostexperte Dr. Kamal Sido erklärt dazu: „In türkischen Gefängnissen oder in Polizeigewahrsam sollen im Jahr 2022 bis zu 83 Menschen unter verdächtigen Umständen ums Leben gekommen sein. Auch die Berichte über Folter in den überfüllten türkischen Gefängnissen mehren sich. Am schlimmsten ist jedoch die willkürliche Praxis, Gefangene auch dann nicht freizulassen, wenn sie ihre Haftstrafen von oft mehr als 30 Jahren verbüßt haben.“
Hunderte Gefangene werden nicht entlassen
In den letzten Monaten sind viele Gefangene freigelassen worden, die wie Nevzat Öztürk Anfang der 1990er Jahre vor den inzwischen abgeschafften Staatssicherheitsgerichten zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde. Ungefähr 200 politische Gefangene werden jedoch auch nach Absitzen ihrer regulären Strafdauer nicht entlassen. Über die Entlassung entscheidet ein Ausschuss nach eigenem Ermessen. Ohne die Zustimmung dieses Ausschusses kann die Haftentlassung immer wieder um drei oder sechs Monate verschoben werden. Eine der gängigen Fragen, die der Ausschuss für seine Sozialprognose an die Betroffenen richtet, lautet: „Ist die PKK Ihrer Meinung nach eine Terrororganisation?"