Der kurdische Schriftsteller Yaşar Aslan ist nach über drei Jahrzehnten in türkischen Gefängnissen von Hunderten Menschen in seiner Heimat Mêrdîn empfangen worden. Der heute Fünfzigjährige war Anfang 1993 wegen „separatistischer Bestrebungen“ in Nisêbîn verhaftet und vor dem Staatssicherheitsgericht Diyarbakir (ku. Amed) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Nach dreißig Jahren und sechs Monaten im Gefängnis wurde er am Montag aus der F-Typ-Haftanstalt Tekirdağ 2 in der Westtürkei entlassen und kam gestern mit einem Flug aus Istanbul in der Provinzhauptstadt Mêrdîn an.
Am Flughafen warteten Hunderte Menschen mit Blumen, darunter auch Mitglieder des Gefangenenhilfeverbands MED TUHADFED und der „Friedensmütter“-Initiative sowie die Abgeordnete Beritan Güneş, die im Mai auf der Liste der Grünen Linkspartei (YSP) ins Parlament gewählt wurde. Als Aslan aus dem Flughafengebäude kam, ertönten Freudentriller und Applaus. Er begrüßte die Anwesenden einzeln mit Handschlag, Angehörige anderer politischer Gefangener waren sichtlich bewegt.
Bewegende Begrüßung am Flughafen in Mêrdîn (Fotos: MA)
„Unsere Hoffnung war stärker als draußen“
Aslan bedankte sich für den überwältigenden Empfang und hielt eine kurze Rede, in der auf die schlechten Haftbedingungen und die Erwartungen der Gefangenen an die Zivilgesellschaft einging: „In den Gefängnissen gibt es sehr viele Probleme und unsere Genossinnen und Genossen dort haben große Erwartungen an euch. Es gibt keine rechtlichen Standards, über das Leben der Gefangenen wird willkürlich entschieden. Momentan wird oft von einer alten und neuen Türkei gesprochen, aber wir wurden früher unterdrückt und sind auch in der neuen Türkei die Unterdrückten. Wir haben immer Unterdrückung erlebt. Was soll sich geändert haben? Aber drinnen haben wir uns wenigstens zu Wort gemeldet und unsere Gefühle zum Ausdruck gebracht. Draußen schaffen die Menschen heute selbst das nicht mehr. Unsere Hoffnung und unsere Forderungen waren stärker als im Volk. Diese Hoffnung müssen wir vergrößern, wir müssen unseren Widerstand stärken.“
Im Gefängnis sei man der staatlichen Gewalt ausgeliefert, aber dagegen werde Widerstand geleistet, betonte Aslan: „Drinnen können sie dich jederzeit irgendwohin bringen, aber die Menschen dort verteidigen ihre Gedanken, sie schützen ihre Herzen und Köpfe. Daraus sollte gelernt werden. Wenn es heute einen derartigen Widerstand zwischen vier Mauern gibt, kann der Widerstand draußen noch viel größer und besser werden.“
Yaşar Aslan wurde in seiner Haftzeit mehrfach in andere Anstalten verlegt und hat im Gefängnis die Bücher „Rengbej” und „Sergovend” geschrieben.
Hunderte Gefangene werden nicht entlassen
In den letzten Monaten sind viele Gefangene freigelassen worden, die 1993 vor den inzwischen abgeschafften Staatssicherheitsgerichten zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde. Ungefähr 200 politische Gefangene werden jedoch auch nach Absitzen ihrer regulären Strafdauer nicht entlassen. Über die Entlassung entscheidet ein Ausschuss nach eigenem Ermessen. Ohne die Zustimmung dieses Ausschusses kann die Haftentlassung immer wieder um drei oder sechs Monate verschoben werden. Eine der gängigen Fragen, die der Ausschuss für seine Sozialprognose an die Betroffenen richtet, lautet: „Ist die PKK Ihrer Meinung nach eine Terrororganisation?"