Jugendlicher ohne Beweise zu 22 Jahren Haft verurteilt

Kadir Sancar war 17 Jahre alt, als er 2015 während des Städtekriegs in Nordkurdistan verhaftet wurde. Er wurde in Mêrdîn zu 22 Jahren verurteilt, ohne das Gesicht des Richters gesehen zu haben. Seine Verteidigerin bereitet eine Verfassungsklage vor.

Während des Städtekriegs 2015/2016 in Nordkurdistan flüchteten sieben Jugendliche in eine Wohnung in Kerboran (tr. Dargeçit, Provinz Mêrdîn) und wurden von Sondereinsatzkräfte verhaftet. Einer von ihnen ist Kadri Sancar, er war damals 17 Jahre alt und befindet sich im Aliağa-Şakran-Gefängnis in Izmir. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von 22 Jahren verurteilt. Die Strafe ist im Revisionsverfahren bestätigt worden, den Angehörigen wurde das Urteil Anfang Juli zugestellt.

Wie sein älterer Bruder Islam Sancar gegenüber ANF erklärt, hat keine wirkliche Gerichtsverhandlung stattgefunden, Kadir war niemals im Gerichtssaal, sondern wurde lediglich über eine Videoschaltung angehört. Die sieben Jugendlichen sind während der damaligen Kämpfe in die Wohnung einer Frau geflüchtet, bei der es sich um die Tante von einem von ihnen handelte. Am letzten Tag der verhängten Ausgangssperre wurden sie denunziert und von Sondereinsatzkräften über Lautsprecher aufgefordert, das Haus zu verlassen, andernfalls werde geschossen. Nach Angaben von Islam Sancar hörten die Minderjährigen, die damals zwischen 15 und 17 Jahre alt waren, den Befehl „Tötet sie!“. In der Wohnung hielten sich kleine Kinder auf. Um sie nicht zu gefährden, verließen die Jugendlichen das Haus.

Damit begann die Folter. Kadri wurde ein Gürtel um den Hals gebunden, an dem er über den Boden gezogen wurde. Islam Sancar sah ihn erst vier Monate später wieder, er hatte immer noch Hämatome unter den Augen. Die Jugendlichen blieben anderthalb Monate im Gefängnis in Midyad, anschließend wurden sie in die Jugendhaftanstalt in Izmir verlegt. Der Prozess fand in Mêrdîn statt. Drei weitere Jugendliche, die im Nachbarhaus in Kerboran festgenommen waren, konnten über ihren Rechtsbeistand durchsetzen, dass das Verfahren in Izmir geführt wurde. Dort wurden sie freigesprochen. Der Prozess gegen Kadri und seine Freunde schleppte sich hin. Kadris Familie fand einen Anwalt in Ankara, der sich nicht wie gewünscht um das Verfahren kümmerte. Die Familie konnte ihn lange Zeit nicht erreichen, später stellte sich heraus, dass er verstorben war. Der geleistete Vorschuss wurde nicht erstattet und die Familie hatte keine ausreichenden finanziellen Mittel.

Schließlich vermittelte der HDP-Abgeordnete Ömer Faruk Gergerlioğlu die Rechtsanwältin Çiğdem Koç, die das Mandat jedoch erst nach der Revisionsentscheidung übernahm. Sie bereitet jetzt eine Klage vor dem Verfassungsgericht vor und weist darauf hin, dass die Jugendlichen bei ihrem eigenen Gerichtsprozess nie physisch dabei waren und den Richter kaum gesehen haben. „Ich untersuche die Akte und habe keinen einzigen Beweis für eine Straftat feststellen können. An einer Stelle wird behauptet, dass einer der Jungen Schmauchspuren an der Hand hatte, aber auch das ist nicht wirklich untersucht worden. Sie waren Kinder, als sie verhaftet wurden, und das ist im Prozess nicht berücksichtigt worden.“