Im EU-Türkei-Abkommen von 2016 wurde vereinbart, dass Schutzsuchende, die auf dem Weg durch die Türkei die EU zum ersten Mal auf den Inseln der Ägäis betreten, in die Türkei zurückgewiesen werden sollen. Das betrifft insbesondere Menschen aus Afghanistan. Diese Vereinbarung wurde getroffen, obwohl die Türkei die Genfer Konvention nicht vollständig ratifiziert hat und de facto 100 Prozent der Asylsuchenden nicht einmal das Recht auf Stellung eines Asylantrags eingeräumt wird. Allein für Schutzsuchende aus Syrien gibt es hin und wieder einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus, der jedoch auch nicht dem Asylrecht entspricht. Die übrigen Schutzsuchenden, insbesondere Menschen, die vor dem Taliban-Regime in Afghanistan geflohen waren, werden, sobald sie gefasst werden, in Abschiebelager gesperrt oder direkt abgeschoben.
Haftanstalten für Schutzsuchende sind zu Folterzentren geworden.
Die Haftanstalten für Schutzsuchende sind zu regelrechten Folterzentren geworden. Nach Angaben des türkischen Innenministeriums aus dem Jahr 2021 gibt es in der Türkei 30 Abschiebezentren (Geri Gönderme Merkezi – GGM), die mit 20.000 Menschen ihre Kapazitäten überschritten haben. Insbesondere nach der Wahl im Mai nahmen die Razzien gegen Schutzsuchende weiter zu, und die GGMs gerieten aufgrund schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen und Folter in die Schlagzeilen.
In den Haftanstalten gibt es massive Hygieneprobleme. Die Menschen sind aufgrund der Enge gezwungen, nacheinander zu schlafen. Sie haben keinen Zugang zu sauberer Nahrung und keine Möglichkeit zur Kommunikation. Tagtäglich kommt es zu schweren Übergriffen. Vor wenigen Tagen nahm sich ein Schutzsuchender das Leben, weil er die Gewalt in einem GGM in Istanbul nicht länger ertragen konnte. In einem anderen GGM musste eine schwangere Frau auf dem Betonboden in einer schmutzigen Zelle entbinden.
„Die Folter begann nach meiner Festnahme“
Im ANF-Gespräch äußerte sich der aus einem afrikanischen Staat stammende Schutzsuchende G. über die Bedingungen in den GGMs. G., der 2019 illegal in die Türkei eingereist war, arbeitete im informellen Sektor, bis er 2021 bei einer Personenkontrolle in einem Bus von der Polizei festgenommen wurde. G. gab an, dass sich 15 Migrant:innen in dem Gefangenentransporter befanden, darunter drei afrikanische Migrant:innen, während die anderen Turkmen:innen, Afghan:innen und Pakistaner:innen waren. G. berichtete, dass es im Inneren des Fahrzeugs sehr heiß war und er Schwierigkeiten beim Atmen hatte. Er und die anderen Festgenommenen wurden nach einer stundenlangen Fahrt ins GGM in Tuzla gebracht.
Er beschrieb seinen einmonatigen Aufenthalt im GGM und seine Erfahrungen dort wie folgt: „Ich habe dort viel durchgemacht; wir mussten die Toiletten und alles andere putzen. Das Essen war sehr schlecht und schmutzig, und wenn wir es ablehnten, bekamen wir tagelang dasselbe Essen, bis wir es aufgegessen hatten. Es war sehr heiß und es war drinnen verboten, Wasser zu trinken. Wir konnten pro Mahlzeit nur ein kleines Plastikpäckchen Wasser in der Cafeteria bekommen. Wenn man jemanden anrufen wollte, war das nicht immer möglich; für Telefonate benötigte man eine Telefonkarte. Diese Karte musste man sich über einen Bekannten aus Istanbul besorgen und zuschicken lassen.“
Rassistische Behandlung durch Wächter
G. äußerte sich wie folgt über die rassistische Haltung des Wachpersonals: „Das Sicherheitspersonal und das Personal der Cafeteria verhielten sich sehr rassistisch. Sie wischten sich die Hände ab, wenn sie uns berührten. Obwohl wir sauber waren, hielten sie sich manchmal die Nase zu, wenn sie sich uns näherten. Der Kantinenwärter schaute uns immer an, bevor er das Essen austeilte, und gab uns je nach unserer Hautfarbe weniger zu essen.“
Folter, Psychoterror und Übergriffe
G. berichtete, dass die Wachen insbesondere afghanische Schutzsuchende misshandelten: „Die Sicherheitsbeamten übten furchtbare Gewalttaten aus, vor allem gegen Afghanen. Außerdem schrien sie ständig sinnlos herum und gaben sinnlose Befehle. Immer wieder zerrten sie Menschen aus dem Fokus der Überwachungskamera und schlugen sie grundlos. Mich haben sie nicht angefasst, weil ich einen Anwalt hatte, aber sie wandten Gewalt gegen alle anderen an und schrien ständig herum. Sie brachten immer wieder Menschen in andere Stockwerke, die dann mit Verletzungen am ganzen Körper zurückkehrten. Ein Afrikaner erbrach wegen der erlittenen Misshandlungen Blut; das habe ich gesehen. Einige Freunde wollten sich umbringen.“
„Auf den Straßen sind wir Rassismus ausgesetzt“
G. erklärte, dass die rassistischen Angriffe und Verfolgungen nicht nur in den GGMs stattfinden, und erzählte Folgendes über die Gewalt auf den Straßen: „Im Alltagsleben verhalten sich manche Leute uns gegenüber schlecht und beschimpfen uns, weil wir Migranten sind. Andere nicht. Das hängt von der jeweiligen Person ab. Erst heute hatte ich zum Beispiel zwei solcher Vorfälle: Ein Mann kam in den Bus und schrie: ‚Geh zurück in dein Land, was machst du hier?‘ Er hat keine Ahnung, wie die Situation in meinem Land ist oder warum wir gehen mussten. Außerdem war ich heute in einem Krankenhaus, wo ich einen Arzt aufsuchen musste, um ein Dokument zu erhalten. Der Pfleger wies mir den Weg zum Zimmer des Arztes. Gerade als ich das Zimmer betreten wollte, sah mich ein anderer Angestellter und wurde nervös. Er schrie und rief den Sicherheitsdienst. Ich musste dem Sicherheitsdienst die Situation ohne Grund noch einmal erklären. Solche Beispiele sind alltäglich.“