Familie von Oury Jalloh zieht vor den EGMR

Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh bewertet die Ablehnung der Verfassungsbeschwerde als Täterschutz und kündigt an, die Familie des 2005 in Dessauer Polizeigewahrsam verbrannten Geflüchteten bei ihrer Klage vor dem EGMR zu unterstützen.

Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh hat eine Erklärung zur Ablehnung der Verfassungsbeschwerde abgegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat nach drei Jahren entschieden, dass die Einstellung der Ermittlungen nicht verfassungswidrig war. Die Initiative kommentiert: „Der Schutz der Täter steht über dem Recht der Angehörigen.“

Mit der höchstrichterlichen Entscheidung in Deutschland steht nun der Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte frei. Die Familie von Oury Jalloh will jetzt vor den EGMR ziehen.

Initiative in Gedenken an Oury Jalloh

Am Abend des 7. Januar 2005 soll sich Oury Jalloh laut Polizeiangaben in einer Zelle selbst angezündet haben. Polizeibeamte hatten ihn auf einer Matratze an Händen und Füßen fest gekettet. Unmittelbar nach seinem Tod in der Gewahrsamszelle Nr. 5 des Polizeireviers Dessau-Roßlau gründete sich die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh und hat die Ermittlungen von Anfang an durch eigene gutachterliche Untersuchungen begleitet, um die wahren Umstände, wie Oury Jalloh ums Leben kam, an die Öffentlichkeit zu bringen.

Zur aktuellen Situation teilt die Initiative mit:

18 Jahre nachdem Oury Jalloh rechtswidrig festgenommen und im Dessauer Polizeigewahrsam schwer misshandelt und verbrannt wurde, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Einstellung aller Ermittlungen in Sachsen-Anhalt nachvollziehbar und somit rechtens und
verfassungskonform sei. Damit hat nun auch die höchste Instanz der deutschen Justiz den Mord und das Verbrennen eines Menschen durch Polizeibeamte - entgegen aller Fakten und Beweismittel - negiert und das Opfer selbst zum Täter gemacht.

Der Argumentationslinie aus Sachsen-Anhalt gefolgt

Die Karlsruher Richter:innen folgen in ihrem formalen Beschluss zur Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde der in höchstem Maße unwissenschaftlichen und einseitigen Argumentationslinie der sachsen-anhaltinischen Ermittlungsbehörden. Diese basiert einerseits
uneingeschränkt auf den widersprüchlichen Aussagen und Schutzbehauptungen der Täter:innen aus dem Polizeirevier und stützt sich andererseits auf eine unprofessionelle und selektive Beweismittelerhebung: Von Beginn an haben die zuständigen Staatsanwaltschaften die wichtigsten Fragen nach der Brand- und Todesursache unbeantwortet gelassen. Selbst nach der Weisung des BGH von 2010 wurden die Ermittlungen weiter verschleppt, Aufträge für Gutachten manipuliert und Stellungnahmen der eigenen Expert:innen fehlinterpretiert oder gar ignoriert.

Drei Jahre Warten

Auf diesen finalen Ablehnungsbeschluss musste der Bruder von Oury Jalloh, Mamadou Saliou Diallo, über drei Jahre warten - nur um dann erneut schmerzlich feststellen zu müssen, dass es seitens der deutschen Justiz keine Gerechtigkeit für den Mord an seinem Bruder geben darf. Der
ungewöhnlich lange Zeitraum für die Entscheidung in einem so bedeutsamen Fall ist völlig inakzeptabel. Fragwürdig sind auch die drei Monate, die es von der Beschlussfassung am 21.12.2022 bis zur Veröffentlichung am 23.02.2023 gedauert hat. Mit dieser Entscheidung hat sich das Bundesverfassungsgericht selbst an der systematischen Vertuschung und Verschleppung eines offenkundig rassistischen Verbrechens, das darüber hinaus Teil einer Mordserie innerhalb der Dessauer Polizeibehörde ist, beteiligt.

Höchstrichterliches Signal an die deutsche Polizei

Das ist eine weitere schwere Demütigung des Opfers und seiner Hinterbliebenen. Diese müssen seit über 18 Jahren leiden, während die verantwortlichen Täter:innen frei und ungestraft bleiben dürfen. Die deutsche Justiz hat damit erneut ein wichtiges und höchstrichterliches Signal an die deutsche Polizei gesendet: Ihr könnt weiterhin Menschen erschießen, ersticken, erschlagen oder verbrennen - wir werden euch in jedem noch so offensichtlichen Fall beschützen!

Mord verjährt nicht!

Diese deutschen Zustände können und werden wir niemals akzeptieren. Wir werden unsere unabhängige Aufklärungsarbeit fortsetzen und gleichzeitig die Familie von Oury Jalloh bei ihrem Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unterstützen. Der EGMR hat bereits in anderen Fällen betont, dass besonders bei Todesfällen in Gewahrsam eine Pflicht zur nachvollziehbaren Aufklärung der Todesumstände seitens des Staates besteht.
Oury Jalloh - Das war Mord! ... und Mord verjährt nicht!