Die Gefängniskommission des Menschenrechtsvereins IHD hat bei ihrer wöchentlichen „F-Sitzung“ die Freilassung von Kadriye Cengiz gefordert. Die aktuell in Êlih (tr. Batman) inhaftierte politische Gefangene wurde unter konstruierten Terrorvorwürfen zu einer Haftstrafe von mehr als neun Jahren Gefängnis verurteilt. Seit Oktober 2015 befindet sie sich in Haft. Laut dem IHD soll Cengiz in sieben Monaten auf Grundlage der Zweidrittel-Regelung freikommen, doch dann könnte es bereits zu spät für sie sein. Die 45-Jährige leidet an Brust- und Lungenkrebs, zudem hat sie während ihrer Haft zweimal eine Magenblutung und zwei Herzinfarkte erlitten. Dennoch sieht die türkische Justiz keinen Bedarf nach einem Strafaufschub für Cengiz.
„Ärzte haben bereits mehrfach die Warnung ausgesprochen, dass Kadriye Cengiz der Tod droht, sollte sie nicht aus der Haft entlassen und als Krebspatientin entsprechend behandelt werden“, sagte Gülseren Yoleri, die Vorsitzende der Istanbuler IHD-Zweigstelle. Seit inzwischen 458 Wochen initiiert die Gefängniskommission die sogenannten „F-Sitzung“ – in Anlehnung an das türkische Gefängnissystem Typ-F – um auf die Situation von kranken politischen Gefangenen aufmerksam zu machen. Der Zustand von Kadriye Cengiz, die vor ihrer Verhaftung in Sêrt (Siirt) im Vorstand von MEYADER saß, einem Solidaritäts- und Unterstützungsvereins für Menschen, die Angehörige verloren haben, und der im Zuge des Putschversuchs vom Juli 2016 per Notstandsdekret verboten wurde, verschlechtere sich zusehends, sagt Yoleri. „Nach einem Krankenhausaufenthalt muss sie für mindestens zwei Wochen in eine Einzelzelle in Quarantäne. Sie ist nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen, da sie mittlerweile sogar Schwierigkeiten hat, selbstständig auf den Beinen zu stehen. Kadriye Cengiz muss aus dem Gefängnis entlassen werden, damit sie nicht stirbt“, fordert die Menschenrechtlerin.
Zustände in Gefängnissen seit Corona dramatisch
Gülseren Yoleri machte auch auf die dramatischen Zustände in türkischen Haftanstalten aufmerksam. Mit der Corona-Pandemie hat sich die Situation in den Vollzugsanstalten in der Türkei drastisch verschlechtert, das gilt im Besonderen für die politischen Gefangenen. Die Präventionsmaßnahmen sind unzureichend, Abstandsregeln können nicht eingehalten werden. Nur die wenigsten Gefangenen erhalten Hygieneprodukte oder Gesichtsmasken, es gibt kaum nennenswerten Zugang zu ausreichender Gesundheitsversorgung. Menschenrechtsorganisationen berichten seit Monaten, dass in vielen Vollzugsanstalten die ärztliche Behandlung kranker Gefangener vollständig eingestellt wurde und Krankenstationen praktisch dicht seien. Auch wird immer wieder bemängelt, dass nicht für genügend Luftzufuhr gesorgt wird und der Hofgang in einigen Vollzugsanstalten willkürlich eingeschränkt ist. Ein großes Problem stelle auch die mangelnde Wasserversorgung dar. Die Wasserzufuhr würde vielerorts häufig unterbrochen, heißes Wasser gebe es ohnehin nur begrenzt.