Beştaş: Von der Rechtlosigkeit in den Despotismus
In den Gefängnissen der Türkei findet ein weiterer Hungerstreik statt. Öcalan kritisiert diese Methode. Die HDP-Politikerin Meral Danış Beştaş weist auf die Situation der politischen Gefangenen hin.
In den Gefängnissen der Türkei findet ein weiterer Hungerstreik statt. Öcalan kritisiert diese Methode. Die HDP-Politikerin Meral Danış Beştaş weist auf die Situation der politischen Gefangenen hin.
Die stellvertretende HDP-Fraktionsvorsitzende Meral Danış Beştaş hat sich im ANF-Interview zum Hungerstreik gegen die Isolation Abdullah Öcalans und den Reformankündigungen der türkischen Regierung geäußert.
Das Antifolterkomitee CPT und die parlamentarische Versammlung des Europarats haben Berichte zur Isolationsfolter auf Imrali veröffentlicht. Wie soll man das Beharren der türkischen Regierungsmacht auf der Isolation der Imrali-Gefangenen verstehen?
Die Regierung verweigert eine Lösung zur Frage der Isolation und beharrt auf einer rechtswidrigen Haltung, mit der die Gesetzgebung, internationale Abkommen, die Verfassung und die Entscheidungen internationaler Einrichtungen vollkommen ignoriert werden. Sie setzt in der Außenpolitik auf Krieg und in der Innenpolitik auf die Isolation Abdullah Öcalans und damit zusammenhängend auf die Ablehnung einer friedlichen Lösung. Bei all dem gibt es einen Zusammenhang.
Wie bewerten Sie den erneuten Hungerstreik in den Gefängnissen, mit dem die Aufhebung der Isolation gefordert wird?
Dass Menschen in diesem Land in einen Hungerstreik treten müssen, damit die Gesetze angewandt werden, ist bezeichnend für die schreckliche Situation. Die Menschen in den Gefängnissen haben keinen Kontakt zur Außenwelt und kämpfen eingesperrt zwischen vier Wänden gegen jede Form von Rechtsverletzungen. Mit der Pandemie hat sich ihre Situation dramatisch verschärft. Mit dem Hungerstreik setzen sie ihre Existenz aufs Spiel und zeigen auf, auf welcher Ebene sich das totalitäre Regime inzwischen bewegt. Als Resultat der Hungerstreiks in der Vergangenheit sind einige Versprechungen gemacht worden. Es sind Gespräche durchgesetzt worden und der Justizminister musste erklären, sich an die Rechtsprechung zu halten. Wir haben es jedoch mit einer Regierung zu tun, die ihre Versprechungen schnell vergisst und ad acta legt. Ihre Legitimität hat sie längst verloren. Der Justizminister ist der Mensch, der in diesem Land erstrangig verantwortlich für die Umsetzung der Gesetze ist. Wenn selbst seine Versprechungen nicht eingehalten werden, geht es nicht mehr nur um Rechtlosigkeit, sondern vielmehr um Despotismus.
Bekanntlich kritisiert Öcalan die Methode des Hungerstreiks. Während des von Leyla Güven angeführten Hungerstreiks für die Aufhebung seiner Isolation hat er interveniert und dazu aufgerufen, andere Methoden zu finden. Ist der aktuelle Hungerstreik ein Anzeichen dafür, dass juristische und politische Wege verschlossen sind?
Ja, Abdullah Öcalan ist gegen Hungerstreiks für ihn selbst oder für andere Ziele. In der momentanen Situation sind jedoch alle anderen Wege verschlossen. Worte habe keine Kraft mehr und es wird versucht, der legalen Politik alle Einflussmöglichkeiten zu nehmen. Die Menschen, die sich für den Hungerstreik entschieden haben, sehen offenbar keine anderen Mittel mehr. Wir können keine Entscheidungen für sie treffen. Es sind ja nicht wir, die das entscheiden, sondern die Gefangenen selbst. Wir sind eine Partei, die draußen auf die Isolation und die Situation in den Gefängnissen aufmerksam macht und dagegen ankämpft. Ich finde es nicht richtig, die Entscheidung der Gefangenen zu beurteilen. Offensichtlich haben sie sich zum Hungerstreik entschieden, weil die Isolation trotz des vielfältigen Widerstands weitergeht und die Situation ins Stocken geraten ist.
Sie haben es erwähnt, Justizminister Abdülhamit Gül hat im Zuge des letzten Hungerstreiks gesagt, dass es kein Hindernis für Anwaltsgespräche gibt, aber die Realität sieht anders aus. Kann man sagen, dass die Regierung das genaue Gegenteil von dem tut, was sie ankündigt?
Natürlich kann man das sagen. Das ist ja auch der Grund dafür, dass keiner Verlautbarung dieser Regierung mehr getraut wird. Ihr kann nicht vertraut werden, weil sie manchmal 24 Stunden und manchmal eine Woche später das Gegenteil tut. Die fehlende Vertrauenswürdigkeit ist einer der wesentlichen Charakterzüge dieser Regierung. Sie ändert ihre Meinung nach Belieben, zwischen Praxis und Theorie herrscht eine Kluft. Es geht ihr nicht um Rechte, die Verfassung, die Bevölkerung, die gesellschaftlichen Forderungen oder um Ruhe, Stabilität, Glück und Gesundheit. Es geht ihr ausschließlich um ihre eigenen Vorteile.
Und was ist mit den angekündigten Reformen?
Bevor die Regierung Reformen veranlasst, sollte sie einfach nur die bestehende Gesetzgebung, die Verfassung und internationale Konventionen einhalten. Solange die Justiz unter dem Befehl der Regierung steht, machen Reformen keinen Sinn. Viel wichtiger ist die Anwendung der Gesetze. Angesichts dieser Situation muss ich wohl gar nicht erst sagen, dass ich den Reformankündigungen nicht traue.
Die HDP steht zunehmend im Fokus von Hassreden. Was bezweckt die Regierung mit ihrer aggressiven Haltung gegen Ihre Partei?
Mit den Angriffen auf die HDP will die Regierung von ihren eigenen Verbrechen, von Korruption und Diebstahl ablenken. Die HDP ist jedoch eine demokratische Partei der Völker und die Angriffe haben noch nie ihr Ziel erreicht. Das wird auch weiterhin so bleiben.