Die Gefängniskommission der Istanbuler Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD hat die Aussetzung des Restes der Haftstrafe von Şivekar Ataş gefordert. Der kranken politischen Gefangenen würden eine angemessene Behandlung und dringend benötigte Operationen verweigert, sagte Kommissionsmitglied Hatice Onaran am Samstag bei einer „F-Sitzung“ des IHD. Zum 593. Mal initiierte der Menschenrechtsverein die Sitzung, die ihren Namen in Anlehnung an das türkische Isolationshaftsystem Typ F erhielt, um auf die Situation von kranken Gefangenen aufmerksam zu machen.
Şivekar Ataş ist Kurdin und wuchs in Sûr, dem Altstadtbezirk der nordkurdischen Metropole Amed (tr. Diyarbakir) auf. Sie studierte Informatik an der Dicle-Universität, als sie 2016 im Alter von zwanzig Jahren bei einem Aufenthalt in Mûş verhaftet und in der Folge in einem Prozess ohne Beweise wegen der „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Mûş gehörte zu den ersten Provinzen in Nordkurdistan, in denen 2015 als Antwort auf den totalen Vernichtungskrieg des türkischen Staates die Selbstverwaltung proklamiert worden war. Von einer monatelangen Militärbelagerung, wie es sie damals in Sûr, Şirnex, Cizîr und Nisêbîn gab, blieb die Region jedoch weitestgehend verschont. Die türkische Justiz wirft Ataş vor, an staatsgefährdenden Aktionen beteiligt gewesen zu sein.
Rabia Ataş kämpft seit Jahren für die Freilassung ihrer Tochter Şivekar | © MA/Evrensel
Die derzeit im Frauengefängnis Bakırköy in der Nähe von Istanbul inhaftierte Şivekar Ataş ist inzwischen 27 Jahre alt. Der IHD führt sie trotz ihres jungen Alters in der Liste der „schwerkranken Gefangenen“. Ataş leidet unter anderem an Bluthochdruck und einer Klappenstenose – eine Herzerkrankung, durch die mikroskopische Vernarbungen des Herzmuskels entstehen, die zum Absterben von Herzmuskelzellen führen und eine schwere Herzschwäche verursachen. Darüber hinaus wurden Dermozysten in ihren Eierstöcken diagnostiziert. Da man bei dieser Art Zyste nicht ausschließen könne, dass sie sich eines Tages bösartig verändern, empfahlen Ärzte eine Operation. Zudem leidet Ataş an den Spätfolgen einer Infektion, die sich in einer sogenannten Gummizelle im Gefängnis von Tarsus entwickelte, in die sie nach Protesten gegen eine gewaltsame Zellendurchsuchung gesteckt wurde.
„Doch Şivekar Ataş hat keinen Zugang zu einer angemessenen Behandlung und der dringend benötigten Operation“, betonte Hatice Onaran. Der Grund seien wiederholte Rechtsverletzungen in Haft, die eine Therapie und Versorgung ihrer Krankheiten unmöglich machten. Dazu zählten unter anderem entwürdigende Leibesvisitationen, denen sich die Kurdin nach jedem Verlassen und Betreten des Gefängnisses unterziehen müsste, Untersuchungen in gefesseltem Zustand und unter ständiger und unmittelbarer Überwachung durch Soldaten, sowie verweigerte Verlegungen auf die Krankenstation der Vollzugseinrichtung. Unter diesen Bedingungen empfinde sie es auch als praktisch unmöglich, sich einer bereits vor längerer Zeit angeordneten Operation wegen eines Bandscheibenvorfalls zu unterziehen.
„Wir erinnern die Behörden, die verpflichtet sind, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen, an ihre Verantwortung, die sich aus dem nationalen Recht und den universellen Menschenrechten erheben“, sagte Onaran zum Abschluss der F-Sitzung. Sie betonte, dass Şivekar Ataş eines von zahlreichen Opfern des Istanbuler Instituts für Rechtsmedizin (ATK) sei – eine Einrichtung des türkischen Justizministeriums, die selbst todkranke politische Gefangene als haftfähig einstuft, um Aussetzungen des Strafvollzugs zu unterbinden – und forderte, dass alle Hindernisse vor dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit beseitigt werden.