EGMR verurteilt Türkei wegen Entzug von Gefangenenwahlrecht

Die Türkei hat mit dem Entzug des Wahlrechts von einem Gefangenen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Ankara muss dem Kurden aus Êlih nun eine Entschädigung zahlen.

Die Türkei hat mit dem Entzug des Wahlrechts von einem kurdischen Gefangenen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen. Zu diesem Ergebnis kam kürzlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und gab damit zwei Beschwerden von Resul Çetin recht. Dem Kurden aus Êlih (tr. Batman) war sowohl bei der Parlamentswahl am 7. Juni 2015 als auch bei der vorgezogenen Abstimmung im November desselben Jahres der Gang an die Urne verweigert worden.

Der Entzug des Wahlrechts verstoße gegen das Grundrecht auf freie Wahlen und damit gegen Artikel 3 des EMRK-Zusatzprotokolls Nummer 1, heißt es in dem Urteil (Beschwerdenummern 47299/15 und 9526/20) vom 1. Februar. Die Forderung des Beschwerdeführers auf Zahlung einer Entschädigung sah der Gerichtshof als berechtigt an. Ankara muss Çetin 2.000 Euro zuzüglich der ihm zu berechnenden Steuern zur Deckung der entstandenen Rechtsanwaltskosten zahlen. Erkan Şenses, Vorsitzender der Rechtsanwaltskammer Êlih, der Çetins Fall nach Straßburg brachte, ist optimistisch, was die Erfolgsaussichten ähnlicher Beschwerden vor dem EGMR betrifft.

Eine Überraschung ist die Entscheidung allerdings nicht: Schon 2013 hat der EGMR die türkische Regierung gerügt, weil Häftlinge nicht wählen durften. Der damalige Fall (Söyler gegen die Türkei, Beschwerdenummer 29411/07) betraf die Klage eines wegen unbezahlter Schecks verurteilten Geschäftsmannes, dem während seiner Inhaftierung sowie nach seiner Freilassung unter Auflagen nicht erlaubt war, an allgemeinen Wahlen teilzunehmen. Auch hier stellte der Straßburger Gerichtshof eine Verletzung von Artikel 3 Protokoll Nr. 1 der Konvention fest. Er fand insbesondere, dass das Verbot für Strafgefangene, sich an Wahlen in der Türkei zu beteiligen, automatisch und unterschiedslos war und die Art oder Schwere des Vergehens, die Länge der Strafhaft oder das individuelle Betragen des Gefangenen beziehungsweise die Umstände nicht berücksichtigte.

Das Verbot war noch weitreichender als alle anderen Regelungen, die der Gerichtshof gegen andere Länder zu beurteilen gehabt hatte: Die Bestimmung war sogar nach der bedingten Freilassung der Verurteilten anwendbar gewesen und auf jene, denen Bewährungsstrafen und daher keine Haftstrafen auferlegt worden waren. Mittlerweile hat die Türkei das Gefangenenwahlrecht angepasst.