Bundesregierung will Abschiebungen nach Afghanistan durchsetzen

Die Bundesregierung macht vor der EU-Kommission Druck, trotz des ungebremsten Vormarschs der Taliban Abschiebungen nach Afghanistan nicht auszusetzen.

Nach dem fluchtartigen Rückzug der westlichen Truppenkontingente aus Afghanistan bricht die Chimäre eines angeblich sicheren Landes in Windeseile zusammen. Eine Stadt nach der anderen fällt erneut an die Terrorherrschaft der Taliban. Die Zahl der Binnenflüchtlinge in Afghanistan schießt weiter in die Höhe und unzählige Menschen verlassen das Land.

Deutschland fordert Abschiebungen

Die afghanische Regierung hatte bereits im Juli die europäischen Staaten aufgefordert, vorläufig keine Abschiebungen mehr nach Afghanistan stattfinden zu lassen. Norwegen, Finnland und Schweden sind dem im Gegensatz zur Bundesregierung nachgekommen. Sogar die berüchtigte Grenzschutzagentur Frontex hat Anfang August bekanntgegeben, keine Abschiebungen nach Afghanistan mehr unterstützen zu wollen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stoppte am 2. August mit einer Eilentscheidung eine Abschiebung aus Österreich nach Kabul, die ursprünglich gemeinsam mit Deutschland stattfinden sollte. Die verzweifelte Lage im Land hat auch die Botschafter der acht EU-Staaten, die noch in der afghanischen Hauptstadt Kabul eine Repräsentanz unterhalten, dazu gebracht, ihren Regierungen in einem gemeinsamen Bericht einen Abschiebestopp zu empfehlen. Unter den Unterzeichnern befindet sich auch der deutsche Botschafter.

Humanitäre Organisationen: „Deutschland darf Augen vor Lage in Afghanistan nicht verschließen“

Ein Appell wurde am Dienstag auch von 26 humanitären Organisationen, unter ihnen Pro Asyl, die Diakonie, Amnesty International und die AWO gestartet. Darin heißt es: „Auch Deutschland darf die Augen vor der sich immer weiter verschlechternden Lage in Afghanistan nicht verschließen und muss alle Abschiebungen einstellen.“

Innenministerium: Abschiebungen um jeden Preis

Doch all das scheint das Bundeinnenministerium nicht anzufechten, wenn es stattdessen erklärt: „Trotz des Taliban-Vormarsches. Abschiebungen nach Afghanistan sollen weiter möglich sein – das fordern Deutschland und fünf weitere EU-Staaten.“ Die Innenminister von Deutschland, Österreich, Dänemark, Belgien und Griechenland wandten sich in einem Brief an die EU-Kommission und warnten davor, ein Aussetzen der Abschiebungen würde „das falsche Signal senden und wahrscheinlich noch mehr Afghanen motivieren, ihre Heimat für die EU zu verlassen.“ Ein absurde Logik, denn die lebensgefährliche Reise in Richtung EU nehmen die Menschen nicht aufgrund der ohnehin schlechten Aufnahmebedingungen auf sich, sondern aus Angst ums nackte Überleben. Der Brief an die EU-Kommission zielt darauf ab, diese dazu zu bringen, Druck auf die Regierung in Kabul aufzubauen, wieder Abschiebungen anzunehmen. Für die Weigerung der Regierung in Kabul gebe es keine Grundlage, so die sechs Minister. Die Kommission solle ihre Gespräche mit Kabul „intensivieren“, damit Abschiebungen möglich bleiben, fordern die Politiker.

Auch SPD tritt humanitäres Völkerrecht mit Füßen

Auch die SPD hält an Abschiebungen fest. Der SPD-Kanzlerkandidat Scholz tritt ebenfalls für die Fortsetzung ein. Er erklärte, es bleibe „unser Wunsch, diejenigen abzuschieben, die schwere Straftaten begangen haben“. Dabei ist Abschiebung in Krieg keine strafrechtliche Sanktion und Abschiebungen angeblicher Straftäter betreffen eben bei weitem nicht nur solche, wie die Praxis der letzten Jahre deutlich gezeigt hat. Eine Abschiebung in eine lebensbedrohliche Situation stellt ein Verbrechen dar. Die SPD unterstützt offensichtlich aus populistischen Gründen den Bruch des humanitären Völkerrechts. Der Appell der 26 Hilfsorganisationen rechnet deutlich mit solchen Positionierungen ab. Hier heißt es: „Rechtsstaat heißt, dass menschenrechtliche Prinzipien eingehalten werden. Sie dürfen auch nicht in einem Wahlkampf zur Verhandlung gestellt werden. Das völkerrechtliche Nicht-Zurückweisungsgebot, das aus dem absoluten Folterverbot abgeleitet wird und das Abschiebungen bei zu erwartenden schwersten Menschenrechtsverletzungen verbietet, gehört hierzu. Dieses Abschiebungsverbot gilt unabhängig von individuellem Verhalten.“