„Absoluter Unwille bei der Aufklärung staatlicher Morde“

Es herrsche „ein absoluter Unwillen“ bei der Aufklärung staatlicher Morde, prangert der IHD Izmir hinsichtlich des „Verschwindenlassens“ von Neslihan Uslu, Metin Andaç, Hasan Aydoğan und Mehmet Ali Mandal durch JITEM an.

„Die Verschwundenen finden – Die Täter bestrafen“ – so lautet das Motto der Mahnwachen, die der Menschenrechtsverein IHD seit Jahren in verschiedenen Städten der Türkei durchführt, um gemeinsam mit den Angehörigen der Vermissten gegen die tief verwurzelte Straffreiheit im Land und für die Aufklärung staatlicher Morde, der sogenannten „unaufgeklärten Verbrechen“ der 90er Jahre, zu protestieren. In der westtürkischen Küstenmetropole Izmir widmete der Ortsverband des IHD sein heutiges Sit-In dem Schicksal von Neslihan Uslu (30), Metin Andaç (46), Hasan Aydoğan (24) und Mehmet Ali Mandal (40). Die vier Linken aus der Tradition der Halk Cephesi („Volksfront“) wurden am 31. März 1998 im Urlaubsort Alaçatı in Çeşme festgenommen. Danach wurden sie nie wieder lebend gesehen.

Im Visier des Staates

Die Gruppe um Neslihan Uslu war polizeibekannt. Uslu, die Herausgeberin und Redakteurin der in Izmir erscheinenden Zeitschrift Devrimci Gençlik („Revolutionäre Jugend“) war, wurde häufig von der Polizei festgenommen, war Razzien ausgesetzt und mit dem „Tod durch Verschwindenlassen“ bedroht. Das hatte die Journalistin, die bereits mehrfach wegen ihrer Arbeit im Bereich der linken Presse nach den türkischen Antiterrorgesetzen verurteilt worden war, ihren Anwälten erzählt. Zum Zeitpunkt ihrer Festnahme lag zudem ein Haftbefehl gegen sie vor, der vom Istanbuler Staatssicherheitsgericht ausgestellt worden war. Diese Devlet Güvenlik Mahkemeleri waren „Fachgerichte“, die für strafbare Handlungen, die „gegen den Bestand von Staatsgebiet und Staatsvolk, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder gegen die republikanische Staatsform begangen wurden“ und die Sicherheit des Staates betrafen, zuständig waren. 2004 wurden diese Gerichte abgeschafft.

Die „Vier“ auf dem Cover der Zeitschrift Halk için Kurtuluş am 2. Mai 1998: „Wir fragen: Wo sind Neslihan Uslu, Hasan Aydoğan, Metin Andaç und Mehmet Ali Mandal?“


Amnesty International und UN-Menschenrechtskommission schalten sich ein

Sehr viel hatten die Angehörigen und Anwälte der vier Vermissten damals unternommen, um ihren Verbleib zu ermitteln. Neben dem IHD wurden auch Amnesty International und auch die UN-Menschenrechtskommission aktiv – doch alle Bemühungen, das Schicksal von Neslihan Uslu, Metin Andaç, Hasan Aydoğan und Mehmet Ali Mandal aufzuklären, blieben erfolglos. Die türkischen Behörden leugneten, sie in Gewahrsam genommen zu haben.

Geständnis: In ein Fischerboot gesetzt und den Kutter gesprengt

Mehr als ein Jahr nach dem Verschwinden der „Vier“ legte Turan Ünal, ein zwischenzeitlich inhaftiertes Mitglied der Konterguerilla JITEM, dem informellen Geheimdienst der türkischen Militärpolizei, im Juli 1999 ein schockierendes Geständnis ab. Als Angehöriger des „Team 03“ gab Ünal im Gefängnis von Çankırı in Ankara zu Protokoll: „Wir haben die Vier festgenommen und nach Foça gebracht. Dort wurden sie in einem Gebäude der Konterguerilla, das sich auf dem Gelände eines Militärstützpunkts befindet, verhört und gefoltert. Später haben wir sie in einem Gebäude im Stadtbezirk Hatay schwerer Folter unterzogen. Gegen Ende April – wir hatten ihre Arme und Beine gebrochen – machten wir sie mit Medikamenten bewusstlos und setzten sie an der Küste von Seferihisar in ein Fischerboot. Als das Boot auf dem Meer schwamm, sprengten wir es. Wir hatten uns für Seferihisar entschieden, da die Berge dort direkt ins Meer abfallen. Außerdem ist es eine einsame Gegend.“

Praxis der Straflosigkeit setzt sich fort

Trotz dieses Geständnisses wurde das Verbrechen durch die türkische Justiz nicht geahndet. Niemand musste sich für den Mord an Metin Andaç, Hasan Aydoğan, Mehmet Ali Mandal und Neslihan Uslu, verantworten. „Es herrscht ein absoluter Unwillen bei der Aufklärung und Aufarbeitung staatlicher Morde“, prangert der IHD Izmir an. Und: „Diese Praxis der Straflosigkeit für Verbrechen, die im Auftrag der Herrschenden begangen wurden, setzt sich bis heute fort.“