In der nordkurdischen Provinz Amed (tr. Diyarbakır) kam es zu einem rassistischen Mordversuch durch die türkische Polizei an einem 14-jährigen Jungen. Wie die Nachrichtenagentur Mezopotamya berichtet, wurde der Jugendliche Y.D. am 21. März um 22 Uhr im Landkreis Licê auf dem Heimweg von einem Freund von der türkischen Polizei verschleppt.
Mit Gewehrkolben misshandelt, bedroht und gefesselt ausgesetzt
Ohne einen Grund anzugeben, wurde der Junge zunächst in ein abgelegenes Gebiet an einer Dorfstraße gebracht. Über das weitere Martyrium des Jungen berichteten er und sein Anwalt. Y.D. erzählte seiner Familie, dass er von vier Polizeibeamten gefoltert wurde: „Sie brachten mich an einen abgelegenen Ort. Sie sagten, ich solle sagen, dass ich Türke sei. Sie schlugen mich mit einem Gewehrkolben, dann fesselten sie meine Hände und Füße und warfen mich in einen Graben.“
„Wenn du die Nationalhymne nicht lernst, werden wir dir in den Kopf schießen“
Ramazan Karalp, der Anwalt der Familie, erklärte den Vorfall wie folgt: „Der Junge wohnt im Zentrum von Licê. Er war am Abend auf dem Heimweg von Freunden, als er von der Polizei angehalten wurde. Sie ließen seinen zehnjährigen Freund, der ihn begleitete, gehen und brachten den Jungen an einen abgelegenen Ort. Dort schlugen sie ihn mit Gewehrkolben und forderten ihn auf, zu sagen, dass er Türke sei, und die Kurden zu beschimpfen. Als der Junge dies nicht tat, forderten sie ihn auf, bis zum nächsten Morgen die Nationalhymne auswendig zu lernen: ‚Wenn du sie nicht auswendig lernst, werden wir kommen und dir in den Kopf schießen.‘“ Dann warfen sie ihn in sumpfiges Gelände in der Nähe eines Baches, der durch das Zentrum des Viertels fließt. Sie ließen ihn an diesem Ort gefesselt zurück.
„Junge droht ein Auge zu verlieren“
Ein Dorfbewohner, der in der Scheune seine Tiere hütete, bemerkte das Kind, als er Geräusche hörte. Er brachte es sofort ins Krankenhaus. Der Junge wurde im staatlichen Krankenhaus von Licê untersucht und dann an die medizinische Fakultät der Dicle-Universität überwiesen. Er wird derzeit im Krankenhaus behandelt, und es besteht die Gefahr, dass es sein rechtes Auge verliert.
Vater der Folteropfers mit dem Tod bedroht
Der Vater des Jungen wurde im Krankenhaus ebenfalls von Polizisten bedroht. Sie sagten zu ihm: „Ihr wollt die weißen Toros zurück.“ Weiße Renault-Toros sind Symbole des Staatsterrors der 1990er Jahre. Mindestens 17.000 Menschen wurden in den 80er und 90er Jahren in der Türkei Opfer der Praxis des „Verschwindenlassens”. Rechtsanwalt Karaalp berichtete: „Das Krankenhaus informierte die Polizei wegen der Schläge und der Tatsache, dass es sich um einen Minderjährigen handelte. Die Polizeibeamten, die von dem Vorfall erfuhren, übten Druck auf den behandelnden Arzt aus, damit dieser keinen Bericht über den Übergriff erstellt. Yılmaz Dikan, der Vater des Kindes, protestierte dagegen. Die Polizei drohte dem Vater mit den Worten: ‚Reicht euch das nicht, ihr wollt, dass die weißen Toros wiederkommen.‘“
Der weiße Toros scheint ein Symbol für eine Zeit zu sein, die sich das Regime und seine Anhänger zurückwünschen. So wurden beim Lynchversuch am kurdischen Fußballverein Amedspor in Bursa etwa zwei Wochen zuvor auf den Tribünen von Bursaspor Transparente mit Bildern des JITEM-Verbrechers Mahmut Yıldırım („Yeşil“) und von weißen Renault-Toros gezeigt, während kurdische Spieler mit Gegenständen und Pyrotechnik beworfen und mit dem Tod bedroht wurden.
„Wie sollen die Kinder bei so einer Tyrannei nicht zur Waffe greifen“
Der Vater des Jungen, Yılmaz Dikan, unterstreicht, dass es sich um keinen Einzelfall handele. Was seinem Kind angetan wurde, werde den Kurd:innen schon seit Jahren systematisch angetan. „Es gibt einen Staat im Staat“, erklärt er. „Es gab schon immer eine Politik, die Menschen dazu bringt, sich gegenseitig zu bekämpfen. Morgen oder übermorgen, wenn diese Kinder eine Waffe in die Hand nehmen, werden diese Leute mir das vorwerfen. Wenn man einem Kind solche Grausamkeit antut, wird dieses Kind dann nicht morgen eine Waffe in die Hand nehmen, wird das Kind nicht den Staat immer als Feind betrachten?“
HDP: „Diese Regierung ist rassistisch und kinderfeindlich!“
Die Kinderrechtskommission der Demokratischen Partei der Völker (HDP) forderte angesichts des Verbrechens sofortige Ermittlungen und erklärte: „Wir werden Folter an Kindern durch diejenigen, die für die Sicherheit zuständig sind, niemals akzeptieren. Wir werden die Ermittlungen bis zum Ende verfolgen und wir sagen noch einmal: Diese Regierung ist rassistisch und kinderfeindlich! Trotz jahrzehntelangem Rassismus und Nationalismus in dieser Region ziehen die kurdischen Kinder weiterhin ihre Leidenschaft und den Glauben an das Leben aus dem Feuer von Newroz. Die kurdischen Kinder, die ihr an Newroz festgenommen habt, gegen die ihr Gewalt angewendet habt, die ihr mit rassistischen Tiraden beschimpft und bedroht habt, werden diejenigen sein, die das Newroz-Feuer in diesem und in den kommenden Frühjahren noch stärker auflodern lassen. Als HDP-Kinderrechtskommission sind wir mit unseren Gedanken, Herzen und Worten wie immer auf der Seite der Kinder und der Legitimität ihres Newroz-Feuers.“
Nach öffentlichem Druck Ermittlungsverfahren eingeleitet
Nachdem sich die Nachricht des Mordversuchs verbreitete, sah sich die Generalstaatsanwaltschaft Diyarbakır gezwungen, ein Ermittlungsverfahren gegen die Polizisten einzuleiten. Allerdings besteht die berechtigte Befürchtung, dass das Verfahren verschleppt und eingestellt wird, wie üblich in Fällen von Folter und Polizeigewalt in der Türkei und Nordkurdistan.
Licê – Polizeiangriffe im Zusammenhang mit dem Newrozfest
Am Abend hatte es spontane Newroz-Feiern von Kindern und Jugendlichen in Licê gegeben. Diese wurden von der Polizei angegriffen und Jugendliche und Kinder, teilweise im Alter von fünf Jahren, allein wegen des Tragens kurdischer Trachten festgenommen. Die Kinderrechtskommission der HDP unterstreicht, dass es sich bei diesen rassistischen Angriffen gegen Jugendliche und Kinder um keine Einzelfälle handelt und dass die Partei die Ermittlungen genau verfolgen werde.