Sinem Mut und Anil Kaya sind aus der Türkei vor politischer Verfolgung nach Deutschland geflohen. Sie waren während ihrer Studienzeit Mitglieder der Vereinigung für demokratische Rechte. Im Jahr 2012 wurde gegen sie ein Verfahren wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ eingeleitet. Begründet wurden die Verfahren mit ihrer Teilnahme an Demonstrationen am 1. Mai, am Frauentag und an Gedenkveranstaltungen zum Roboskî-Massaker. In der Türkei drohen ihnen aufgrund dessen jeweils Haftstrafen von sechs Jahren und drei Monaten. Zusammen mit insgesamt zehn weiteren Personen, die aus denselben Gründen verurteilt worden waren, flohen sie ins Ausland. Mut, Kaya und fünf weitere Personen beantragten Asyl in Deutschland und drei weitere in der Schweiz. Sie legten die gleichen Unterlagen in ihren Verfahren vor.
Bayern lehnt im Alleingang Verfahren ab
Mit Ausnahme von Mut und Kaya, die ihre Anträge in Bayern gestellt hatten, wurden die Anträge aller anderen genehmigt, und sie erhielten eine Aufenthaltsgenehmigung. Dennoch lehnten Bundesamt (BAMF), das Verwaltungsgericht Augsburg und der bayerische Verwaltungsgerichtshof den Asylantrag ab. Beide sollen nun bis zum 21. August „freiwillig“ ausreisen, sonst würden sie abgeschoben. Die bayerischen Behörden scheinen hier erneut ein Exempel an linken Aktivist:innen aus Kurdistan statuieren zu wollen. Immer wieder ist auffällig, dass auch Bundesbehörden wie das BAMF in Bayern eine besonders restriktive und flüchtlingsfeindliche Praxis an den Tag legen. Dies lässt sich statistisch an den verschiedenen Anerkennungsquoten von Schutzsuchenden in Bezug zu den verschiedenen Bundesländern feststellen (1813670-Unterschiede-Bundesländer-Asylentscheidungspraxis.pdf (ulla-jelpke.de)).
Bayerische Asyljustiz bedient sich bei „rechtsstaatswidrigen“ Terrorverfahren
Darauf deutet auch das Urteil des Augsburger Verwaltungsgerichts hin. Im Prinzip orientiert sich das Urteil an der türkischen Rechtsprechung. Mut und Kaya wird im Widerspruch zum Asylrecht regelrecht zur Last gelegt, politisch aktiv zu sein. Außerdem übernahm das Verwaltungsgericht die Behauptung der türkischen Anklagebehörden, mit denen die beiden der Mitgliedschaft in einer „Terrororganisation“ sowie der „Propaganda für eine Terrororganisation“ beschuldigt werden. Dabei soll es sich um die Maoistische Kommunistische Partei der Türkei (MKP) handeln. Die beiden weisen diese Behauptung zurück und erklären, sie hätten sich nur an Demonstrationen beteiligt, aber nicht an Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften. Regelrecht bizarr ist, dass die bayerischen Behörden sich hier offensichtlich beim türkischen Antiterrorrecht bedienen. Dort reicht die Teilnahme an einer Demonstration oder ein Like an der falschen Stelle für eine ebensolche Anklage.
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof sieht diese Ausweitung des Terrorismusbegriffs durch den türkischen Staat als „rechtsstaatswidrig“ an. So werden Äußerungen und Likes in den sozialen Medien zur Grundlage von Terrorverfahren und langjähriger Inhaftierung gemacht. Die Einschätzung des türkischen Antiterrorrechts als „rechtsstaatswidrig“ wird auch auf der Homepage des Auswärtigen Amtes zitiert. Ob das gleiche nun auch für die bayerische Asyljustiz, die sich offenbar nur allzu gerne an diesem „rechtsstaatswidrigen“ Vorgehen bedient, vermerkt wird, bleibt zu bezweifeln. Das Gericht folgt dem türkischen Urteil und erklärt, dass bei Kaya „der Vorwurf der Mitgliedschaft in beziehungsweise der Propaganda für die MKP“ in seinem Fall „zumindest nicht völlig aus der Luft gegriffen ist“. Auch bei Mut sei keine „härtere als die sonst übliche Bestrafung“ erfolgt. Damit legitimiert die bayerische Justiz die Repression durch das türkische Regime. Regelrecht absurd wird die Argumentation des Gerichts, als es zur Ablehnung auch den Fund eines Buchs des vom türkischen Staat ermordeten Revolutionärs Ibrahim Kaypakkaya heranzog.
Bayerisches Gericht: Kein Risiko von Folter oder unmenschlicher Behandlung
Das Gericht erklärte weiter, eine „flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung“ sei bei einer Rückkehr der beiden in die Türkei „nicht zu erwarten“. Es bestehe „keine beachtliche Gefahr einer Inhaftierung in der Türkei zu unmenschlichen Bedingungen“, die Todesstrafe sei abgeschafft, auch liege bei Kaya „kein Risiko von Folter“ vor. Ein Schlag ins Gesicht für Sinem Mut, die während ihrer zweimonatigen Untersuchungshaft unter den Übergriffen durch einen Gefängniswärter leiden musste. Das Risiko von Folter und unmenschlicher Behandlung in türkischen Gefängnissen ist hoch. Die Bedingungen in den Gefängnissen sind schlechter denn je und Übergriffe nehmen von Tag zu Tag zu.
Mut kommentierte das Verfahren gegenüber Bianet: „Sowohl die Fragen, die vor Gericht gestellt wurden, als auch das, was wir in der Urteilsbegründung gelesen haben, ließen uns das, was wir in der Türkei erleben mussten, von neuem erfahren.“