19-jähriger Flüchtling nach Syrien entführt und gefoltert

Die Entführer von Ali Veli schickten ein verstörendes Foltervideo an seine Familie. Sollte sein Vater sich nicht bereit erklären, mit der türkischen Besatzung zu kooperieren, werde nicht nur der 19-Jährige getötet.

Gewaltsames Verschwindenlassen

Die schlimmsten Befürchtungen seiner Familie bestätigten sich, als ein Video auftaucht, das zeigt, wie Ali Veli aus Rojava gefoltert wird. Tage zuvor war der 19-Jährige spurlos verschwunden. Jetzt soll sein Vater sich bereit erklären, mit der türkischen Besatzung in Nordsyrien zusammenzuarbeiten. Andernfalls werde nicht nur Ali getötet. Von dem Fall berichtete zuerst Ahmet Kanbal von der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA).

Ali Veli flüchtete aus Nord- und Ostsyrien in die Türkei, wo er vermutlich wegen eines illegalen Grenzübertritts verhaftet wurde. Am 13. März verließ er das L-Typ-Gefängnis von Erzincan, aber nicht allein. Er sei, so gab es die Vollzugsleitung der Haftanstalt an, für die Ausweisung nach Syrien in ein Abschiebezentrum (Geri Gönderme Merkezi) gebracht worden. In welches, dazu äußerte man sich trotz mehrmaliger Nachfrage nicht.

Inzwischen, so scheint es, ist Ali zwar tatsächlich in Syrien. Wie er dorthin gelangt ist, bleibt jedoch unklar. Nach dem Video, in dem zu sehen, wie Ali geschlagen und gewürgt wird – seine in Qamişlo lebende Familie bekam es von einer türkischen Telefonnummer – erhielt seine Mutter einen Anruf. Einer der Entführer, der akzentfreies Türkisch spricht, fordert in dem Gespräch, dass der Vater Alis „mit ihnen zusammenarbeitet“, eine andere Person übersetzt erst ins Kurdische, später ist auch Arabisch zu hören. Der Anrufer gibt vor, alles über die Familie zu wissen, Kenntnis über Angehörige zu haben, die sich „in der Organisation“ betätigen würden. Es fallen Sätze wie „Ich lösche deine gesamte Familie aus“.

Ali Velis Vater solle sich binnen einer Woche bei dem Anrufer melden. Andernfalls, so droht man der Frau, erhielte sie erst Fotos von ihrem Sohn, die ihr vermutlich nicht sonderlich gefallen würden. Danach bekäme sie die Nachricht, dass das Auto ihres Mannes „in die Luft geflogen ist“. „Richte deinem Ehemann aus; es gibt weder Recht noch Gesetz. Ich gebe euch eine Woche. Solltet ihr meine Entschlossenheit austesten wollen, könnt ihr in dieser Zeit ruhig untätig bleiben. Am Ende werdet ihr sehen, was ich mit eurem Sohn tun werde.“

Auch Ali Veli spricht mit seiner Mutter, äußert, dass er annimmt, irgendwo in Syrien zu sein. Die Familie des 19-Jährigen steht in Kontakt mit der Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD in Mêrdîn (tr. Mardin), die alle rechtlichen Hebel in Bewegung gesetzt hat, um Alis Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen und ihn freizubekommen. Auch will der IHD zu weiteren Erkenntnissen kommen: Auf welche Weise gelangte Ali nach Syrien? Wurde er überhaupt in ein türkisches Abschiebezentrum gebracht, wenn ja, in welches? Und passierte die Entführung „erst“ auf syrischem Boden oder möglicherweise bereits in der Türkei?

Es wird angenommen, dass es sich bei mindestens einem der Entführer um einen türkischen Soldaten handelt und Ali irgendwo in der Besatzungszone in Nordsyrien festgehalten wird. Es wäre nicht das erste Mal, dass vor dem Krieg in Syrien in die Türkei geflüchtete Kurd:innen den türkisch-dschihadistischen Besatzungstruppen übergeben werden, die sie dann foltern, um Geld oder Kollaboration zu erpressen. Der IHD befürchtet, dass Ali Veli dem gewaltsamen Verschwindenlassen zum Opfer fallen könnte. Zwar wird diese Praxis international als Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet. In der Türkei aber genießen Täter in der Regel Straffreiheit.