Während Ausgangssperren ermordet
An seinem Grab in Şirnex (tr. Şırnak) ist an Hacı Lokman Birlik erinnert worden. Anlass war der neunte Jahrestag des gewaltsamen Todes des jungen Kurden. Neben seiner Familie und Bekannten versammelten sich auch Mitglieder der Parteien DEM und DBP, des Solidaritätsvereins MEBYA-DER, der sich um Menschen kümmert, die Angehörige im kurdischen Befreiungskampf verloren haben, sowie Aktivistinnen der Frauenbewegung TJA und der Friedensmütter an der Grabstätte, um Birlik zu gedenken und gemeinsame Gebete zu sprechen.
Leichnam von Panzer durch die Stadt geschleift
„Ich lasse meine Soldaten und Polizisten keine Kadaver transportieren“. So lautete der Kommentar eines türkischen Polizisten, der am 3. Oktober 2015 über den Kurznachrichtendienst Twitter ein Bild des Leichnams von Hacı Lokman Birlik verbreitete. Auf dem Bild war ein gepanzertes Polizeifahrzeug zu sehen, das die Leiche des 24-Jährigen an einem um dessen Hals gebundenen Seil über die Pflastersteine im Zentrum von Şirnex zog. Zu der Zeit herrschte in Şirnex eine staatlich verhängte Ausgangssperre, die Stadt wurde vom Militär faktisch belagert. Später wurde auch ein Video von der Szene veröffentlicht, in der Birliks Leiche durch die Straßen geschleift wird.
Hacı Lokman Birlik, der sich selbst Siyabend nannte, wenige Monate vor seinem Tod © Familie Birlik
17 Kugeln auf Birlik
Augenzeugen berichteten, dass sich Birlik am Straßenrand eine Verletzung am Knöchel verbinden wollte, als er aus dem vorbeifahrenden Fahrzeug exekutiert wurde. Die Polizisten hätten noch auf ihn geschossen, als er sich nicht mehr bewegte. Im Obduktionsbericht hieß es, dass 17 der insgesamt 28 Schüsse auf Birlik tödlich waren. Die Anwälte der Familie Birlik erstatteten daraufhin Anzeige wegen Mord, Störung der Totenruhe und Amtsdelikt. Sechs Täter wurden ermittelt, genauso viele Staatsanwälte sind seither mit dem Fall „betraut“ worden. Doch auch neun Jahre danach liegt noch immer keine Anklage vor; die Polizisten sind weiterhin im Dienst. Angehörige von Birlik dagegen geraten regelmäßig ins Fadenkreuz der türkischen Justiz.
Abteilungsleiter der Antiterrorpolizei von Şırnak vom Präsidenten ausgezeichnet
Die Anordnung, den Leichnam von Hacı Lokman Birlik durch die Stadt zu schleifen, war von dem damaligen Abteilungsleiter der Antiterrorpolizei von Şırnak, Hacı Murat Dinçer, gekommen. Er hatte auch die Bilder davon ins Netz gestellt. Unter Dinçers Federführung war zwischen Dezember 2015 und März 2016 zudem die Kreisstadt Cizîr (Cizre) belagert worden. Hunderte Menschen wurden damals bestialisch ermordet, viele von ihnen in den berüchtigten „Todeskellern”. Doch auch Dinçer genießt nach wie vor ein Leben in Freiheit. 2016 wurde er vom türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan sogar persönlich für seinen „überragenden Erfolg“ in Şirnex ausgezeichnet.
Nicht nur erinnern, sondern mahnen
Bei dem Grabbesuch sprach stellvertretend für die anwesenden Parteien und Organisationen der kurdische Lokalpolitiker Abdullah Güngen, der Ko-Vorsitzender des Provinzverbands der DEM in Şirnex ist. „Wir wollen nicht nur erinnern an den Augenblick, als die Gerechtigkeit durch die Straßen von Şirnex geschleift wurde, sondern auch mahnen. Die Art und Weise des Todes von Hacı ist ein Spiegelbild des barbarischen Krieges, der gegen das kurdische Volk geführt wird“, sagte Güngen. „Um Hacı und aller anderen Gefallenen würdig zu sein, die ihr Leben in diesem Krieg ließen, müssen wir den Widerstand in den Mittelpunkt all unseres Handeln stellen. Und wir müssen gewinnen.“ Nach den Worten Güngens wurden rote Rosen und Nelken am Grab von Birlik niedergelegt. Anschließend besuchte die Trauergemeinschaft das Wohnhaus der Familie.