Wiederaufbau eines zerstörten Gefallenenfriedhofs

Der jüngst zum wiederholten Mal zerstörte Gefallenenfriedhof Sîsê in Licê wird langsam wiederaufgebaut – unter Klageliedern von trauernden Müttern.

Der Friedhof Sîsê (Yolçatı) in Licê bei Amed (türk. Diyarbakir) ist bereits mehrfach von der türkischen Armee zerstört worden. 2015 hatte das Militär die Ruhestätte sogar bombardiert – sowohl vom Boden als auch aus der Luft. Mühsam bauten die Familien den Friedhof nach jeder Zerstörung wieder auf. Zuletzt wurde der Friedhof Ende Juli Opfer eines Waldbrandes. Das Feuer wurde vermutlich von Soldaten im Zuge einer Militäroperation gelegt, die im Umland von Sîsê stattgefunden hatte.

Der heutige Friedhofsbesuch in Sîsê wurde daher mit einer kollektiven Ausräumaktion verbunden. Neben Angehörigen von Gefallenen, die dort begraben liegen, beteiligten sich auch Politikerinnen und Politiker der Parteien HPD und DBP sowie Mitglieder von MEBYA-DER, einem Hilfs- und Solidaritätsverein für Familien, die ihre Angehörigen verloren haben, am Wiederaufbau. Zunächst wurden zerbrochene Grabsteine aufgesammelt, bevor an mehreren Stellen gekehrt wurde. Trauernde Mütter schrieben auf mitgebrachte Ziegelsteine, die vorerst als Grabsteine dienen sollen, die Namen ihrer Toten. Viele der Frauen sangen dabei Klagelieder – so traurig, dass ihre Stimmen keine zusätzlichen Emotionen hineinlegen mussten.

„Ihnen fehlt es an Menschlichkeit“

Eine dieser Mütter ist die 61-jährige Münevver Pasin. Ihr Sohn Yılmaz Azad, ein Guerillakämpfer, der 1999 im Kampf gegen die türkische Armee sein Leben verlor, liegt in Sîsê begraben. Für seine Mutter ist das Geschehene nicht vereinbar mit der Menschlichkeit, wie sie sagt. „Denn Menschen würden die Knochen von Toten nicht angreifen.“ Münevver Pasin wünscht denjenigen, die Schmerzen in ihrem Herz verursachten, dasselbe Leid. „Seit Jahren hört man aus unseren Mündern nichts anderes als Frieden, Frieden, und nochmal Frieden. Trotzdem werden wir weiter angegriffen.“

Tiefe Trauer

Rabia Tekin hat ihre Tochter Mizgîn 1992 verloren. „Früher erfüllten uns Friedhofsbesuche mit Freude“, sagt sie. Es höre sich grotesk an, aber es sei nun mal der Ort, an dem sie ihren Liebsten am nächsten sind, auch wenn sie unter der Erde liegen. „Jetzt empfinden wir nur noch Trauer, sehr tiefe Trauer. Denn alle Gräber sind wieder zerstört. In der Vergangenheit wurden sie nur zertrümmert, mittlerweile werden die Grabstätten sogar niedergebrannt. Haben sie denn das Recht dazu?“, fragt Tekin.

Die Antwort erübrigt sich. Sicher ist der Respekt vor der Totenruhe einer der grundlegenden Werte der Menschheit. Nicht aber in der von Erdoğan dirigierten Türkei, die im Krieg mit den Toten der kurdischen Freiheitsbewegung ist. Betroffen von Schandtaten wie denen in Licê sind alle Friedhöfe, auf denen Gefallene liegen.

„Sie glauben, dass unsere Kinder allein sind. Dass sie niemanden hätten, der für ihre Rechte eintritt“, sagt Rabia Tekin. Sie mag sich gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn es Angriffe auf Friedhöfe der „Herrschenden“ geben würde. „Ich glaube nicht, dass sie damit einverstanden wären. Warum sollten wir es dann sein?“