Wahlbeobachtungsbündnis besucht hungerstreikende Abgeordnete

Ein europäisches Wahlbeobachtungsbündnis, das sich aus Abgeordneten, Gewerkschaftern und Aktivisten zusammensetzt, hat den Provinzverband der HDP und die hungerstreikenden Politiker*innen Dersim Dağ, Tayip Temel, Murat Sarısaç und Leyla Güven besucht.

In der Türkei und Nordkurdistan finden heute Kommunalwahlen statt. Aufgrund der Erfahrungen bei der Verfassungsabstimmung von 2017 und den Präsidentschaftswahlen von 2018 befürchten die demokratischen Kräfte, dass diese auf undemokratische Weise durchgeführt werden. Schon im Vorfeld der Wahlen hat Präsident Erdoğan gedroht, Gemeinden unter Zwangsverwaltung zu stellen, wenn die demokratischen Kräfte, allen voran die Demokratische Partei der Völker (HDP), gewinnen sollten.  Aus diesem Grund rief die HDP zur internationalen Wahlbeobachtung auf.

Für Wahlbeobachter*innen, die dieser Einladung folgten, wird die Einreise nicht leicht gemacht. Eine Gruppe aus Frankreich wurde für einen Tag festgenommen und anschließend ausgewiesen. Einer Wahlbeobachtungsdelegation aus Italien ist am Grenzübergang Xabur in Südkurdistan die Einreise in die Türkei verweigert worden. Einem breiten Wahlbeobachtungsbündnis aus Europa ist es dennoch gelungen, nach Nordkurdistan zu reisen. Am Vortag besuchte die Delegation, die sich unter anderem aus Abgeordneten der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft und den Grünen, Parlamentarier*innen der schwedischen und französischen Linkspartei, Mitgliedern der italienischen Basisgewerkschaften Cobas und internationalen Solidaritätsgruppen wie denen aus der Schweiz, Großbritannien und Norwegen zusammensetzt, in der nordkurdischen Provinzhauptstadt Amed (Diyarbakir) die Parteizentrale der HDP. Dort führen die Wahlbeobachter*innen ein Gespräch mit den hungerstreikenden HDP-Abgeordneten Dersim Dağ, Tayip Temel und Murat Sarısaç. Anschließend besuchte die von Feleknas Uca begleitete Delegation die kurdische Politikerin Leyla Güven.

„Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“

Der Besuch in der HDP-Zentrale begann mit minutenlangem Applaus. Die Delegationsmitglieder waren sichtlich beeindruckt von den kurdischen Parlamentsabgeordneten, die sich Anfang des Monats der von Leyla Güven initiierten Hungerstreikbewegung angeschlossen haben. Als erster ergriff Tayip Temel das Wort. Der 37-Jährige, der vor seiner Wahl zum Abgeordneten als Journalist für die freie Presse arbeitete, fasste zusammen, worum es der Protestbewegung geht:

„Überall dort, wo es Unrecht und Rechtlosigkeiten gibt, muss es Widerstand geben. Der auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierte kurdische Repräsentant Abdullah Öcalan wird isoliert - ihm wird kein einziges seiner Rechte eingeräumt. Diese Isolation stellt nicht nur ein erhebliches Problem für die demokratischen Kräfte in der Türkei dar, sondern betrifft die globale Demokratie.“ Temel wies darauf hin, dass sich rund 7000 politische Gefangene ebenfalls im Hungerstreik befinden und erklärte: „Wir stellen eine einzige Forderung, die lautet: Regelmäßige Anwalts- und Familienbesuche bei Öcalan, damit die Gesellschaft seine Stimme wahrnehmen kann.“ 

Erwartungen an Wahlbeobachtungsdelegation

Von den Wahlbeobachter*innen erwarte Temel, internationale Öffentlichkeit für die Forderungen der Hungerstreikenden zu gewinnen. In der Türkei würden menschliche Werte mit Füßen getreten, die Opposition könne sich nirgends der Repression des Staatschefs Erdoğan entziehen. Die einzigen Institutionen, die Druck auf die türkische Regierung ausüben könnten, seien das europäische Antifolterkomitee CPT und der Europarat. „Doch beide erregen lediglich aufgrund ihrer schweigenden Haltung die Aufmerksamkeit.“ Angesichts dessen sei die Solidarität der Wahlbeobachter*innen wichtiger denn je, sagte Temel. Die Türkei sei ein antidemokratisches Regime, über das repressive Klima müsse überall gesprochen werden, forderte Temel. „Wir werden kämpfen und in jedem Fall gewinnen, aber Eure Hilfe ist uns dabei besonders wichtig“, so Temel.

Delegation besucht Leyla Güven

Nach dem Treffen in der HDP-Zentrale besuchte das Wahlbeobachtungsbündnis die Politikerin Leyla Güven, die sich mittlerweile seit knapp fünf Monaten im Hungerstreik gegen die Isolationshaftbedingungen Abdullah Öcalans ist. Vor wenigen Tagen hat die türkische Justiz einen Vorführungsbefehl gegen die 55-Jährige erlassen. Gegen Leyla Güven, die nach 144 Tagen Nahrungsverweigerung bettlägerig ist, läuft ein Verfahren wegen Terrorvorwürfen.