Südkurdistan: „Nicht das kleinste Lebewesen wird toleriert“

Amara Harun berichtet von ihren Eindrücken als Journalistin aus den umkämpften Medya-Verteidigungsgebieten: „Das türkische Militär kann in den von ihm besetzten Gebieten in Südkurdistan nicht einmal das kleinste Lebewesen tolerieren.“

Spuren der Besatzung

Es benötigt viel Entschlossenheit und Beharrlichkeit, in die Gebiete zu gehen, wo die türkischen Angriffe in Südkurdistan stattfinden, und darüber zu berichten.

Zunächst einmal ist das Passieren der Kontrollpunkte des Geheimdienstes Parastin der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) und des türkischen Geheimdienstes MIT mit einem großen Risiko verbunden. Was dem Journalisten Silêman Ehmed widerfahren ist, ist noch immer aktuell. Silêman Ehmed war im Oktober vergangenen Jahres von Sicherheitskräften der Barzanî-Partei PDK festgenommen und an einen unbekannten Ort gebracht worden. Monatelang gaben die Behörden keine Informationen zu seinem Zustand und Aufenthaltsort heraus; er war faktisch von seiner Außenwelt abgeschnitten. Erst seit Februar ist bekannt, dass der kurdische Journalist in einem inoffiziellen Gefängnis der PDK-nahen Asayîş in Duhok festgehalten wird. Stellen Sie sich vor, was mit Journalist:innen passieren kann: Sie können einfach „verschwinden“, nur weil sie versuchen, in diese Region zu kommen und über die Entwicklungen dort zu berichten. In diesem Sinne wird einmal mehr deutlich, wie wichtig echter Journalismus ist.

Wir sind dieses Mal äußerst vorsichtig, um nicht das gleiche Schicksal der Journalisten zu erleiden, die in den vergangenen Tagen versucht haben, in die besetzten Gebiete zu gelangen. Denn von hier soll keine Nachricht nach außen dringen. Jede Nachricht, die aus der Region kommt, ist wichtig, um die Wahrheit über die PDK und die Familie Barzanî zu enthüllen. Deshalb wird alles versucht, um das zu unterbinden. Das Internet ist extrem langsam, und die Menschen sind aufgrund dessen beunruhigt. Sie wissen, was es bedeutet, wenn Straßen gesperrt und Kommunikationswege eingeschränkt werden.

All dies geschieht, damit niemand von den großen mörderischen Angriffen hier etwas mitbekommt. Das sind unsere ersten Beobachtungen. Es gibt keinen Zugang zu den verbrannten Dörfern. Da viele Kreuzungen und Straßen von den Bomben der F-16-Kampfflugzeuge getroffen wurden, ist es nicht möglich, mit einem Auto zu fahren. Man kann versuchen, sich zu Fuß fortzubewegen, aber an einigen Stellen ist der Weg durch tiefe Krater, gerissen durch türkische Bomben, versperrt.

Die Straßen wurden systematisch und bewusst angegriffen. Das Erste, was uns auffällt, ist, dass es sich bei den getroffenen Stellen um Rohrdurchlässe und ähnliche Stellen handelt. Dies geschah, um mögliche Sabotageaktionen der Guerilla gegen Militärtransporte zu verhindern. Andererseits wollte man die Öffentlichkeit daran hindern, die Straßen zu benutzen.

Obwohl es Sommer ist, können Bäuer:innen nicht mit ihren Fahrzeugen auf diesen mit Kratern übersäten Straßen fahren. Das Obst und Gemüse in den Gärten verrottet. Da die Möglichkeit bestehen könnte, dass die Guerilla, deren Versorgungswege abgeschnitten werden sollen, diese Gärten nutzen könnte, wurden diese von der türkischen Armee attackiert und niedergebrannt.

Wir sind also zum Umkehren gezwungen, der Weg verlängert sich. Straßen, die bisher der Zivilbevölkerung dienten, wurden jetzt zu Militärstraßen deklariert. Hier umgebracht zu werden, ist nur eine Frage der Zeit. Es heißt immer wieder, dass diejenigen, die diese Straßen benutzen, selbst dafür verantwortlich seien, was mit ihnen geschehe. Dorfbewohner:innen berichten, dass sie zu PDK-Kontrollpunkten gebracht und dort von türkischen MIT- bzw. Parastin-Agenten bedroht wurden.

Jeden zweiten Tag sehen wir Lastwagen, die Militärgüter transportieren. Das Erste, was uns auffällt, ist der Rauch, der den Himmel wie eine schwarze Wolke bedeckt. Es sind die Spuren der Brände, die noch nicht gelöscht sind und deren Löschung von den Behörden in der Region nicht in Betracht gezogen wird. Die ständigen Überflüge hindern die Menschen daran, diese Brände zu bekämpfen. Diejenigen, die sich zum Löschen des Feuers nähern, werden von Drohnen direkt bedrängt. Plötzlich nähert sich ihnen eine Drohne und simuliert einen Angriff. Durch Lärm werden die Menschen in Angst und Schrecken versetzt.

An einigen Stellen steigt weißer Rauch auf. Als wir etwas näher kommen, erkennen wir, dass dieser Rauch etwas anderes ist. Als Kriegsberichterstatter:innen, die seit Jahren in den Medya-Verteidigungsgebieten tätig sind und den Guerillakrieg kennen, sehen wir sofort, dass es sich bei diesen Schwaden vermutlich um phosphorhaltige Chemikalien handelt. Ähnliches zeigt sich auf fast jedem Hügel, der getroffen wurde. Die Dämpfe breiten sich zunächst auf dem Boden aus und wirken über ein großes Gebiet. Dann steigen sie langsam in den Himmel auf.

Es ist verboten, phosphorhaltiges Giftgas auf diese Weise einzusetzen. Aber wenn es um die Guerilla und die Besetzung Kurdistans geht, macht niemand den Mund auf. Der Boden, das Wasser, die Wälder und der Lebensraum in diesen Gebieten sind von diesen sich langsam ausbreitenden und aufsteigenden Giften betroffen.

Wenn wir in die angegriffenen Orte fahren, bekommen wir Atembeschwerden, der Rauch kratzt im Hals. Der Boden ist an vielen Stellen verfärbt. Viele Lebewesen sind bei dem Versuch zu fliehen gestorben. Wir sehen Insekten, die haufenweise tot zu Boden gefallen sind, weil sie den Giften ausgesetzt waren. Am häufigsten sehen wir Heuschrecken und Honigbienen. Die betroffenen Bäume sterben ebenfalls nach einer Weile, weil die Gifte an den Blättern haften. Und sobald man mit diesen Chemikalien in Berührung kommt, beginnt die Haut zu jucken.

An all diesen Orten lebten Zehntausende von Menschen. Doch als das türkische Regime die PDK dazu drängte, die Region dichtzumachen, ging diese rasend schnell gegen die Bevölkerung vor. Dutzende von Dörfern wurden innerhalb eines Monats geräumt. Es finden täglich Angriffe statt und man versucht, alles Leben hier zu vernichten. Das türkische Militär kann in den von ihm besetzten Gebieten in Südkurdistan nicht einmal das kleinste Lebewesen tolerieren.

Das ist auch eine Folge der militärischen Fähigkeiten der Guerilla zu Luft, zu Land und unter der Erde. Unter dem Vorwand, dass hinter jedem Baum ein Guerillakämpfer stehen könnte, wird die Vernichtung von Wäldern legitimiert. Saubere Wasserquellen werden vergiftet, weil behauptet wird, die Guerilla könne das Wasser trinken. Die türkischen Besatzungssoldaten setzen riesige Landgebiete unter dem Vorwand in Brand, dass sich die Guerilla hier verstecken könnte. Was sollte man auch anderes erwarten von den Soldaten einer Gesellschaft, die von einer Kultur der Plünderung und Vergewaltigung geprägt ist! Diese Situation überrascht uns nicht. Vierzig Jahre Guerillakampf haben die Wahrheit über die türkische Armee schon oft ans Licht gebracht. Der Baum, bei dem die Guerilla hundertmal nachgedacht hat, ob sie ihm einen Ast abschneiden könnte, hat für die Armee keine Bedeutung.

Tatsächlich steht die Natur Kurdistans am Rande einer totalen Zerstörung. Diejenigen, die angesichts einer derartigen Situation schweigen, sollten wissen, dass sie auch ihre eigene Zukunft verbrennen. Die Region Kurdistan, insbesondere die Gebiete im Süden, wurde durch einen Kampf auf der Grundlage von bedeutenden Werten geschaffen. Sie ist zu wertvoll, um sie den kurdischen Verrätern und den türkischen Besatzern zu überlassen. Die Guerilla ist entschlossen, diese Gebiete zu schützen, selbst wenn es sie das Leben kostet. Die Kämpfer:innen, die jeden Tag dafür ihr Leben geben, sind dafür der Beweis. Doch nur der Wille des Volkes und diejenigen, die ihre Stimme erheben, ohne um ihr Leben zu fürchten, werden dieser Besatzung ein Ende setzen.