Sipan Rojhilat: Die Besatzer sind ermüdet und schwach

Der HPG-Kommandant Sipan Rojhilat hat sich in einem Fernsehinterview über den Fortgang des Krieges gegen die Invasionstruppen in Avaşîn geäußert. Den Tunnelkrieg gegen die türkische Armee beschreibt er als äußerst effektiv und erfolgreich.

Seit über drei Monaten versucht die türkische Armee mit aller Macht, die Regionen Metîna, Zap und Avaşîn in den südkurdischen Medya-Verteidigungsgebieten zu besetzen. Der Guerillakommandant Sipan Rojhilat hat sich in einem Interview bei Stêrk TV über die aktuellen Entwicklungen im Widerstand gegen die Invasion geäußert.

Die Region Avaşîn gehört zu den am heftigsten attackierten Gebieten. Wie haben sich Krieg und Widerstand dort seit Beginn der Invasion entwickelt?

Der türkische Staat hat eine große Invasionsoperation begonnen. Diese Invasion zielt darauf ab, die Medya-Verteidigungsgebiete vollständig zu besetzen. Avaşîn ist eine Region, die bereits in früheren Besatzungsangriffen eine wichtige Rolle spielte. Sie ist sowohl für die Schwierigkeit des Geländes als auch für ihre Entschlossenheit bekannt. Die dortige Guerilla war bereits vor der Invasion großen Härten ausgesetzt. Das Zagros-Gebirge ist ein sehr steiles Gebiet. Früher mussten Kämpferinnen und Kämpfer in Avaşîn manchmal tagelang laufen, um eine Aktion durchzuführen. Nach tagelangen Fußmärschen erreichten sie das Ziel, zerstörten es, und kehrten zurück. Das war die Taktik der Guerilla. Der türkische Staat wurde immer wieder schwer getroffen und versucht deshalb, die Guerilla in diesen drei Gebieten der Medya-Verteidigungsgebiete ausschalten.

„Widerstand von Mamreşo zeigte, wie wir die Operation brechen können“

Zur gleichen Zeit ging die türkische Operation in Heftanîn weiter, zuletzt wurden Xakurke und Gare angegriffen. Nach seiner schweren Niederlage in Gare plante der türkische Staat mit seinen Angriffen auf Zap, Avaşîn und Metîna, diese Schmach wieder wettzumachen. Aber die Rechnung ging nicht auf. Die Operation läuft seit dem 23. April, also seit drei Monaten. Der türkische Staat erreichte keines der Ergebnisse, die er sich erhofft hatte. Woran liegt das? Er hatte nicht mit der Größe des Guerillawiderstands gerechnet. Insbesondere zu Beginn der Invasion gab es allerdings auf Seiten der Guerilla eine gewisse Unerfahrenheit. Die Guerilla hatte kaum Erfahrungen damit gesammelt, in Tunneln in kleinen Teams organisiert Widerstand gegen den türkischen Staat zu leisten. Es bestanden einige Mängel. Aber gleichzeitig ist der Widerstand in Mamreşo mit unseren sieben Freund:innen, die dort gefallen sind, zu einem Beispiel geworden. Diese Freund:innen sind für uns Pioniere, ihr Widerstand bestimmte den Verlauf der Operation. Sie zeigten uns, wie wir die Operation brechen können.

Der Widerstand in den Tunneln von Mamreşo und Şehîd Serdar gab uns die notwendige Erfahrung, um den Tunnelkrieg ohne Mängel durchzuführen. In den Gebieten Werxelê und Girê Sor herrscht ebenfalls Krieg. Der Feind will manche unserer Tunnel seit Monaten einnehmen, aber es gelingt ihm nicht. Das ist ebenfalls Realität. Der Feind wird von der Guerilla getroffen, das können wir anhand von Beispielen erläutern. Der Krieg in Avaşîn hat dem türkischen Staat einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Offensiven, welche die Guerilla in den vergangenen Jahren gegen den Feind durchgeführt hatte, setzt sie nun im Zentrum von Avaşîn gegen die türkische Armee um. Wie kommt es dazu?  Wenn sich der Feind zum Beispiel den Tunneln nähern will, treffen die Freund:innen ihn und erlauben ihm nicht, heranzukommen. Dem Feind fehlt es ohnehin an Mut, auch nur in die Nähe der Tunnel der Freund:innen zu gelangen.

„Die Guerilla ist nicht einmal einen Schritt zurückgewichen“

Immer wieder haben unsere Freund:innen auch in den Medien bestätigt, dass sich der Feind sehr feige verhält. Der türkische Staat hat Angst vor der Guerilla. Lassen Sie mich ein Beispiel dafür geben: der Feind tauchte an einem Ort im Zagros-Gebirge auf. Unsere Freund:innen feuerten aus 1000 bis 1500 Metern Entfernung einen oder zwei Schüsse auf etwa 15 bis 20 Soldaten ab. Die Soldaten entledigten sich ihren Waffen und rannten davon. Fünf Minuten später traf eine weitere Gruppe ein und nahm diese Waffen heimlich mit. Wir kämpfen gegen eine solche Armee. Der Feind dachte sich, er würde hierherkommen, die Region säubern und binnen einer Woche die Guerilla vernichten können. Aber diese Vorstellungen haben der Wirklichkeit nicht standgehalten. In allen Regionen von Avaşîn, insbesondere in den Gebieten Mamreşo, Mervanos und Şehîd Serdar, hat die Guerilla keine einzige Position aufgegeben.

„Die Armee hat nicht die Kraft gegen die Guerilla zu kämpfen“

Was tut der türkische Staat? Er prahlt im Fernsehen, an Orten gewesen zu sein, von denen keiner geglaubt hätte, dass sie je erreichbar sein würden. Der türkische Staat ist nicht in diese Gebiete vorgedrungen. Lediglich seine Technologie hat er vorgeschickt. Mit welcher Art von Armee haben wir es also zu tun? Die Armee, von der gesprochen wird, gibt es nicht. Die Operationen in Avaşîn haben gezeigt, dass die türkischen Soldaten nicht die Kraft besitzen, gegen die Guerilla zu kämpfen. Auch dafür gibt es Beispiele. Sie wollten in die Tunnel in Werxelê vordringen, die Freund:innen schalteten ihre Kameras an und attackierten sie. Wir konnten sie hören. Die türkischen Soldaten weinten, schrien in Panik und sind geflohen. Wie kann so ein Heer so kämpfen? Ihr wollt mit 150 Soldaten und massiver Ausrüstung in die Tunnel vordringen, die Freund:innen greifen mit leichten Waffen an und ihr brüllt was das Zeug hält. Ihr greift die Guerilla mit Bombern und einem vielfältigen Waffensortiment an, aber die Guerilla macht keinen einzigen Schritt zurück. Ihr seid es, die aus ihren Stellungen flüchten und sogar Raketenwerfer liegen lassen. Daher wurde seit Beginn der Operation der Widerstand in allen Positionen von Avaşîn fortgesetzt. Es ist kein gewöhnlicher Widerstand. In Werxelê dauert er bereits 40 Tage an. Die Soldaten versuchen täglich, sich den Tunneln mit Sprengstoff, TNT oder Giftgas zu nähern. Bisher sind die Freund:innen nicht einen einzigen Schritt zurückgewichen. Im Gegenteil, sie greifen die Besatzer jeden Tag an.

Sie sprachen von der türkischen Kriegstechnologie. Welche Technologie wird eingesetzt?

Der türkische Staat stützt sich nicht nur auf Technologie. Zum Beispiel setzt er dutzende Aufklärungsflieger und Kampfflugzeuge ein, um die eigenen Truppen zu schützen. Dennoch kann die Demoralisierung der Soldaten nicht aufgehoben werden. Jede Einheit hat eine Drohne, die ununterbrochen im Einsatz sind. Und das ist nicht alles: die Besatzer setzen Hunde für ihren Schutz im Feld ein. Sie benutzen auch Kontras, Dorfschützer und Söldner. Die Armee behauptet von sich, ihre Soldaten seien Helden und würden in Guerillagebiete vordringen. Aber das Gegenteil ist der Fall: wir haben es mit einem Heer zu tun, das alles daransetzt, sich selbst zu schützen.

„Die Kämpfer:innen in den Tunneln haben sich in jeder Hinsicht vorbereitet“

Die Besatzungstruppen sollten sich in einem Guerillagebiet wie die Guerilla verhalten. Aber das klappt nicht. An den Tunnelanlagen etwa fordern sie die Kämpferinnen und Kämpfer zur Aufgabe auf. Wem soll man sich denn ergeben? Der Guerilla gegenüber steht ein feiges, zusammengebrochenes Heer. Wie soll man sich so einem Heer ergeben? Das ist die Realität. Es handelt sich um ein besiegtes Heer. Sie stellen sich hin und sagen: „Kommt und ergebt euch, wir haben Wasser.“ Die Guerilla hat selbst jede Menge Wasser. Die Kämpfer:innen in den Tunneln sind weder hungrig, noch durstig, noch alleine. Nahrungsmittel, Munition und Stellungen wurden von langer Hand vorbereitet. Sie haben sich aber auch psychologisch auf die Lage eingestellt und alle Methoden und Taktiken geplant.

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Am Tabura Ereban (Arabisches Battaillon) wurde die türkische Armee mit einer Spezialwaffe angegriffen. Die Aufnahmen von der Aktion sind womöglich im TV erschienen. In dem Video ist zu sehen, dass die Freund:innen Raketen auf die türkische Armee abfeuern. Eine Gruppe von Soldaten wird getroffen, eine andere flieht und eine dritte Einheit steht unter Beschuss. Die fliehenden Soldaten kommen den anderen nicht zu Hilfe, sondern rennen weg, nach dem Motto: „Rette sich wer kann, zur Hölle mit den anderen.“ An einem Tag setzten sie Giftgas gegen die Tunnel ein. Einige unserer Freund:innen wurden von dem Gas erwischt. Sie wurden von unverletzten Freund:innen gerettet. Wenn jemand zur Rettung seiner Weggefährt:innen loszieht, dann strebt er nicht nach eigener Rettung, sondern will den anderen helfen. Alle Freund:innen haben bei guter Gesundheit überlebt, weil sie auch chemische Waffen bekämpfen können. Der Unterschied zwischen den beiden Beispielen ist klar. Eine Seite verlässt seinen Kameraden und rennt weg, ohne zurückzublicken. Ihr Kamerad bleibt im Feuer zurück. Gegen die andere Seite werden chemische Waffen eingesetzt, aber die Kämpfer:innen denken mehr an ihre Freund:innen als an sich selbst. Sie sind bereit, sich für ihre Freund:innen zu opfern.

„Technik des türkischen Staates funktioniert in den Tunneln nicht“

Was ist das Neue am Widerstand der Guerilla gegen diese Operation?

Wir haben große Erfahrungen im Tunnelkrieg gemacht. Wir glauben, dass wir, wenn diese Erfahrungen in die Praxis einfließen, im Tunnelkrieg großartige Ergebnisse erzielen werden. Denn die Technik des türkischen Staates funktioniert in den Tunneln nicht. Chemische Waffen werden am häufigsten eingesetzt, und wie gesagt, die Freund:innen haben einen Weg gefunden, sie zu bekämpfen. Darüber hinaus haben wir Methoden entwickelt, um die Einkesselung durch die türkische Armee zu durchbrechen. Wir saßen nicht in den Tunneln und warteten auf die Ankunft des türkischen Staates. Was auch immer sie taten, wir schufen eine Alternative. Sie verwenden fortschrittliche Technologie, wir kämpfen mit kreativen Techniken und Methoden. Dies führt dazu, dass der türkische Staat feststeckt. Wenn diese Situation noch etwas weitergeht und die Guerilla langsam zur Angriffsposition übergeht, wird die Operation des türkischen Militärs vollständig scheitern. Denn mit der Operation wächst auch die Erfahrung der Guerilla. Das ist das Stadium des Kriegs in Avaşîn. Jetzt zögert die türkische Armee nicht, Chemiewaffen einzusetzen. Sie ist so feige, dass sie uns nicht bekämpfen kann. Bisher wurde keine einzige unserer Freund:innen in Avaşîn von der Armee direkt getötet. Alle Gefallenen sind durch chemische Kampfstoffe oder Luftangriffe ums Leben gekommen.

In der Vergangenheit konnte der türkische Staat unsere Stellungen in zwei bis drei Tagen erreichen. Aber jetzt dauert es bereits mehr als drei Monate, und vielleicht wird es noch länger dauern. Der Wille der Guerilla ist eisern und so kämpfen die Kämpferinnen und Kämpfer auch.

Besteht die Gefahr, dass der türkische Staat diese Operation ausweitet und an einem anderen Ort einmarschiert?

Unsere Bewegung hat wiederholt erklärt, dass Südkurdistan das Ziel des türkischen Staates ist. Das bedeutet, dass der türkische Staat die Operation verlängern wird. Erdoğan nutzt diesen Krieg für seinen eigenen Profit. Das ist jedem bekannt. Er versucht politischen Profit daraus zu schlagen, um sich als erfolgreich darzustellen und Gewinn für die Wahlen zu ziehen. Auch wenn die Operationen des türkischen Staates überall ausgeweitet werden, sind die Vorbereitungen der Guerilla abgeschlossen. Die Guerilla ist bereit zur Gegenoffensive. Alle unsere Kräfte sind bereit, nicht nur gegen die Operation Widerstand zu leisten, sondern auch eigene Operationen zu starten. Alle unsere Positionen sind kampfbereit. Der bisherige Widerstand, insbesondere der Zendûra-Widerstand, war ein gutes Beispiel und wir begrüßen ihn von ganzem Herzen. Die Entschlossenheit und Widerstand dort haben uns gezeigt, dass es möglich ist, monatelang hart zu kämpfen.

„Chemiewaffenangriffe haben zugenommen“

Der türkische Staat versucht sich an allen Fronten zu beweisen, aber so ermüdet und schwächt er seine eigene Armee. Seit dem 23. April werden Truppen in den Gebieten abgesetzt und es werden Chemiewaffen genutzt. Die Flugzeuge bombardieren jeden Tag die Kriegstunnel. Avaşîn, Zap, Çemço, Metîna und andere Gebiete werden von Flugzeugen bombardiert. Die Soldaten greifen häufiger als die Luftwaffe an. Sie sind aber nicht effektiv. Was wollen sie an Orten mit B7-Raketenwerfern erreichen, wenn schwere Artillerie bereits nicht erfolgreich war? Das bringt wirklich gar nichts. Die Chemiewaffenangriffe haben zugenommen. Wie gesagt, wir hatten am Anfang keine Erfahrung mit den Chemiewaffen, jetzt sammeln wir langsam Erfahrungen. Selbst wenn sie in andere Gebiete kommen, werden auf der Grundlage der gemachten Erfahrungen alle weiteren Operationen des türkischen Staates zerschlagen werden.

„Guerilla ist in der Lage, Gegenoperationen zu starten“

Die Guerilla kann gleichzeitig auch ihren Möglichkeiten entsprechend Gegenoperationen starten. Wir können den Feind von vielen Seiten treffen. Der türkische Staat setzt all seine Energie ein, um diesen Krieg zu führen. Wenn wir den Verkehr der Sikorsky-Transporthubschrauber betrachten, sehen wir, dass sie 24 Stunden am Tag unterwegs sind. Wenn sich 50 oder 60 Soldaten auf einem Hügel befinden, kommt der Sikorsky manchmal sieben oder acht Mal pro Nacht. Ich denke, diese Sikorskys dienen der Lebensmittelversorgung. Die Soldaten in diesem Gebiet sind demoralisiert. Sie sind nicht in der Lage, Widerstand zu leisten.

„Avaşîn-Invasion ist bereits jetzt ein Fiasko“

 Meiner Meinung nach ist die Invasionsoperation in Avaşîn bereits jetzt ein Fiasko. Wenn sie in Zukunft weitere Schritte machen wollen, können sie das nur mit verbotenen Kriegstechniken tun. Warum? Sie sind nicht in der Lage ihre Soldaten in die Kriegstunnel zu bringen und dort kämpfen zu lassen. Vielleicht benutzen sie Chemiewaffen, vielleicht Explosivstoffe. Mit etwas anderem ist der türkische Staat nicht in der Lage, gegen unsere Kriegstunnel vorzugehen. Das ist glasklar.

„Tote Soldaten werden geheim gehalten“

Die Kriegstunnel sind für uns eine Erfahrung. Wenn wir mit diesen Methoden fortfahren, können wir den türkischen Staat in vielerlei Hinsicht besiegen. Für Erdoğan, Soylu und Akar ist der Tod von Soldaten nicht wichtig, ihr politischer Ruf dagegen schon. Sie geben nicht bekannt, wenn ihre Soldaten sterben. Dutzende der Soldaten sterben, aber sie halten das geheim. Warum? Sie wollen ihren politischen Ruf nicht verlieren. Sie wollen nicht sagen, dass sie besiegt wurden. Wenn sie in die anderen Regionen kommen, dann wird es noch viel schwieriger für sie. Unsere Stellungen dort sind noch stärker und ich bin mir sicher, dass sie dort schwer getroffen werden. Die Entschlossenheit der Guerilla gibt es in keiner Armee. Eine Guerillakämpfer:in denkt nicht an sich selbst, sondern an seine/ihre Freund:innen.